Viel war während der vergangenen Jahre darüber spekuliert worden, wie sich der Brexit auf das Migrationsgeschehen auswirken werde. Drei Fragen standen und stehen dabei im Mittelpunkt: Wie wird sich die neue Situation auf das Grenzregime und die Migrationspfade auswirken? Wie wird Großbritannien nach dem Austritt aus dem Dublin-System mit denen umgehen, die in Fahrzeugen oder Booten auf die Insel gelangen? Und drittens: Was wird das angeblich radikal erneuerte Asylsystem beinhalten, das die Regierung Johnson im vergangenen Jahr – begleitet von einer beispiellosen Hysterie aufgrund der Bootsmigrant_innen – für die Post-Brexit-Phase ankündigte? All dies wird uns in künftigen Beiträgen noch beschäftigen. In Calais selbst wird nun eine indirekte Auswirkung des Brexit sichtbar: Die Legitimation weiterer Metallgitterzäune am heute schon festungsartig gesicherten Kanaltunnel.
Autor: tm
Trotz der eisigen Temperaturen, aber begünstigt durch eine ruhige Wetterlage, hat die Zahl der Bootspassagen in den vergangenen Tagen wieder zugenommen. Am 9. Januar erreichten 103 Menschen Großbritannien per Boot; dies waren mehr als im gesamten Januar 2020, als es knapp 100 gewesen waren. Weitere 20 Personen schafften die Kanalquerung am 10. Januar.
Im Jahr 2020 passierten sehr viel mehr Migrant_innen den Ärmelkanal in Booten als jemals zuvor. Laut verschiedenen britischen Quellen waren es über 8.400, vielleicht über 8.700 Personen und mehr als 500 Boote – mehr als viermal so viele wie im Vorjahr und ein Vielfaches mehr als in früheren Zeiten. Während dies nur einen Bruchteil des Migrationsgeschehens nach Großbritannien ausmacht, sind die Boote zur vorherrschenden und effizientesten Migrationstechnik im Calais-Kontext geworden. Aber trotz ihrer hohen Erfolgsausicht hat diese Migrationstechnik Schattenseiten.
Interview mit Maël Galisson über die Toten der französisch-britischen Grenze (Teil 3)
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Im letzten Teil des Interviews spricht Maël Galisson über die Todesfälle auf See, über die Sekuritisierung des Ärmelkanals, über den Umgang mit den Körpern der Toten und über das, was politisch zu tun wäre.
Interview mit Maël Galisson über die Toten der französisch-britischen Grenze (Teil 2)
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Im zweiten Teil des Interviews schildert Maël Galisson einige der insgesamt 297 erfassten Todesfälle im französisch-britischen Grenzraum. Er analysiert die historische und geographische Entwicklung und geht insbesondere den Todesursachen nach: Es sind, so Galisson, vor allem strukturelle Ursachen – untrennbar verbunden mit der Grenz- und Migrationspolitk beider Länder.
Interview mit Maël Galisson über die Toten der französisch-britischen Grenze (Teil 1)
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Maël Galisson dokumentiert seit vielen Jahren die Todesfälle von Exilierten im französisch-britischen Grenzraum. Für die Rechtshilfe-Initiative GISTI, das Londoner Institute of Race Relations und das Permanent Peoples‘ Tribunal legte er kürzlich die Studie Deadly Crossings and the militarisation of Britain’s borders vor, die wir an dieser Stelle bereits vorgestellt haben (siehe hier). In einem Interview mit unserem Blog gibt Maël Galisson nun Auskunft über sein Projekt, diese Grenztoten in Erinnerung zu halten, über die tödlichen Folgen der momentanen Grenz- und Migrationspolitik, über zynische Instrumentalisierungen und über das Unsichtbarmachen der Opfer über ihren Tod hinaus. Wir veröffentlichen das schriftlich geführte Interview in mehreren Teilen.
Die Lebensorte von Exilierten in/bei Calais waren im Laufe des Jahres 2020 mindestens 973 mal von Räumungen betroffen; mindestens 85 weitere Räumungen wurden in Grande-Synthe bei Dunkerque registriert. Beide Zahlen ergeben sich aus Beobachtungen der Human Rights Observers. Bereits am 1. Januar wurden an fünf Plätze in Calais die ersten Räumungen des Jahres 2021 dokumentiert. Weitere Räumungen an sieben Plätzen folgten am 3. Januar: „Die Bewohner hatten nicht die Zeit, ihre persönlichen Sachen wegzubringen; mindestens 12 Zelte wurden beschlagnahmt sowie Decken und Kleider.“ Lakonisch kommentiert die Initiative: „Fundamentale Rechte werden an der französisch-britischen Grenze auch 2021 nicht respektiert.“
Mit dieser Bemerkung beendet die Initiative Human Rights Observers einen Großteil ihrer Berichte über die anhaltenden Räumungen in Calais und Grande-Synthe. Im Jahr 2020 schrieben sie dies zuletzt am 30. Dezember – nach über tausend Räumungen in beiden Städten im Verlauf dieses Jahres. Hier ein Überblick über einige neue Fälle.
„Kampf um Plätze“ (2)
Unter diesem Titel, der einem Statement der lokalen Geflüchtetenhilfe entnommen ist, berichteten wir vor einigen Tagen über den zunehmenden Druck auf Exilierten im Bereich des Fort Nieulay im Westen von Calais (siehe hier). Nach einer größeren Räumungsoperation am 13. November waren dort zunächst Gehölze gerodet worden, in deren Schutz die Exilierten ihre Zelte errichten konnten (siene hier). Am 17. Dezember ließ die Stadtverwaltung sodann einen Platz, an dem verschiedene unabhängige Organisationen Essen ausgaben und andere Hilfen anboten, durch eine Barriere aus schweren Steinen unbefahrbar machen (siehe hier). Seit dem 21. Dezember 2020 ist nun eine weitere Maßnahme hinzugekommen, in deren Zentrum die staatlich mandatierte Hilfsorganisation La vie active steht: Auf Bitte der Präfektur stellte die Organisation die Verteilung von Wasser und Mahlzeiten in diesem Gebiet ein.
Infolge der diversen Räumungen des vergangenen halben Jahres leben zahlreiche Geflüchtete unter den Brücken an den historischen Quais in der Innenstadt von Calais. Bereits in früheren Jahren hatten sich dort kleine Camps gebildet, und zur Politik der konservativen Bürgermeisterin gehörte es stets, sie aus dem Zentrum des urbanen Raums in die Randzonen der Stadt zu verdrängen. Am gestrigen 24. Dezember 2020 hat das Verwaltungsgericht Lille nun Räumungen unter den Brücken genehmigt.