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Calais

Ein erzwungener Tag ohne Räumungen

Durch eine solidarische Aktion hat es am heutigen 18. Dezember 2022 – dem Internationalen Tag der Migrant_innen – in Calais keine Räumungen und Beschlagnahmungen gegeben. Erreicht wurde dies durch die Blockade von Fahrzeugen, die routinemäßig solche Maßnahmen durchführen. Die Aktivist_innen prangerten in einer Erklärung (siehe unten) die andauernde Verletzung elementarer Menschenrechte an. Zugleich erinnerten sie an die tödliche Havarie vom 14. Dezember und die zahlreichen Todesfällen seit 2021.

Wie lokale Medien und der freie Journalist Louis Witter übereinstimmend berichten, umstellten etwa 20 Personen am Morgen bei Minustemperaturen den Lieferwagen der Firma APC, der in der Nähe der Polizeistation in der Rue Berthois parkte. Die Firma ist damit beauftragt, bei den Räumungen ‚zurückgelassene‘ Gegenstände abzutransportieren. Diese ‚Beschlagnamungen‘ finden in einer rechtlichen Grauzone statt – lokale Initiativen bezeichnen sie unwidersprochen als Diebstähle. Die Organisation Human Rights Observers dokumentierte zwischen November 2021 und Oktober 2022 mehr als 1.700 Räumungen in Calais, bei denen mindestens 3.237 Zelte und Schutzplanen ‚beschlagnahmt‘ wurden.

Protestaktion zur Verhinderung von Räumungen in Calais, 18. Dezember 2022. (Quelle: Louis Witter / Twitter)

Der umstellte Lieferwagen fährt routinemäßig mit, wenn der Polizeikonvoi mindestens alle 48 Stunden zu den Standorten der Camps aufbricht. Einige Aktivist_innen stiegen auf das Dach des Fahrzeugs und zeigten ein Transparent mit der Aufschrift: Qui appeler quand la police harcèle? (Wen anrufen, wenn die Polizei schikaniert?). Nach Verhandlungen mit den Protestierenden sagte die Polizei zu, an diesem Tag keine Räumungen durchzuführen, wenn die Protestaktion beendet werde. Was dann auch geschah.

Lokale Initiativen werteten die Blockade vor allem als einen symbolischen Erfolg. „Heute Morgen wurde in Calais eine Räumung der Camps von solidarischen Aktivist_innen verhindert. Die Bewohner_innen der Camps werden also das Recht haben, ihre Zelte zu behalten, aber unter welchen Bedingungen und bis wann?“, erklärte Utopia 56. „Wenn nicht heute, dann morgen“, zitiert Louis Witter ein Teilnehmer der Blockade, „aber wir wollten es an diesem internationalen Tag der Migranten unbedingt verhindern.“

Wir dokumentieren im Folgenden die Erklärung der Aktivist_innen in eigener Übersetzung:

Calais: Der Kampf um die Einhaltung der Menschenrechte ist noch nicht vorbei

1.700 Räumungen von Lebensorten, die zur Beschlagnahmung von mindestens 3.267 Zelten und Planen führten, wurden in Calais im Zeitraum von November 2021 bis Oktober 2022 von der Organisation Human Rights Observers beobachtet. Eine Zahl, die im Vergleich zum Vorjahr gestiegen ist.
Ein Jahr nach dem Hungerstreik, mit dem ein Ende der Räumung von Lebensorten und des Diebstahls der Habseligkeiten von Exilierten gefordert wurde, hat sich nichts geändert und ist alles noch schlimmer geworden. Es ist jedoch klar, dass diese Politik des ‚Kampfes gegen Fixpunkte‘ [Behördenjargon für die Entstehung und Verfestigung von Camps, d. Red.], diese Schikanen, die stark an eine Menschenjagd erinnern, nur dazu führen, dass täglich Menschen misshandelt werden. Tausend Exilierte sind immer noch hier und wir sind täglich Zeug_innen der Menschenrechtsverletzungen, die sie erleiden.
Nachdem ein weiterer Schiffbruch mindestens vier Menschen das Leben gekostet hat, ist es an der Zeit, diese Politik der Schikanen zu beenden, welche die Exilierten dazu drängt, das Vereinigte Königreich koste es, was es wolle, zu erreichen. Seit dem 28. September 2021 sind mindestens 57 Menschen gestorben und 11 werden vermisst. Worauf sollen wir noch warten?
Trotz unserer zahlreichen Anfragen und Vorschläge für eine menschenwürdige Aufnahmepolitik, trotz zahlreicher Berichte von Abgeordneten, Rechtsschutzorganen und Gerichtsurteilen ändert sich nichts oder nur sehr wenig. Wir sind besorgt und wütend.
Für ein Ende der tödlichen Politik haben wir beschlossen, an diesem Wochenende, dem Internationalen Tag der Migranten, eine direkte und symbolische Aktion durchzuführen, um ein Ende der Räumungen und generell eine würdige Aufnahme der exilierten Menschen an der Grenze zu fordern.