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Calais

Rechtsextremes Gewaltspiel

Im Rahmen des französischen Präsidentschaftswahlkampfs veröffentlichte der Calaiser Chef des Rassemblement National, Marc de Fleurian, am gestrigen 3. Januar 2022 ein Video, das recht unverholen zu Gewalt gegen Exilierte aufruft. Der nur sechs Sekunden lange Film wurde bei Nacht am Hochsicherheitszaun des Fährhafens von Calais aufgenommen. Er zeigt in einiger Entfernung eine Gruppe schwarz gekleider Personen und legt nahe, dass es sich um Exilierte handelt. Im Vordergrund ist eine Hand zu sehen, die eine Pistole auf die Gruppe richtet. Die Szene ist so aufgenommen, dass die oder der Betrachtende in die Rolle desjenigen versetzt wird, der mit der Schusswaffe durch Calais geht, so als herrsche dort ein Krieg, und auf Geflüchtete zielt. Über den Entstehungskontext und die Urheberschaft des Videos wird nichts gesagt. Der kurze Text des rechtsextremen Wahlkämpfers besagt stattdessen, dass die Bürger_innen von Calais nur dadurch, dass sie Marine Le Pen zur Staatspräsidentin wählten, ein Recht auf Sicherheit wiedererlangen könnten, während das Bild eine andere Option zeigt: die Waffe. Es ist ein Film im Grenzbereich eines Rechtspopulismus, der Migration als einen einzigen Gewaltakt halluziniert, hin zu einem Rechtsterrorismus, der die Waffe gegen Migrant_innen richtet und ein solches Handeln denen offeriert, sich sich in seinen Blasen bewegen.

Szene aus einem Video des RN-Polikers Marc de Fleurian, Screenshot vom 3. Januar 2021. (Quelle: M. de Fleurian / Twitter)

Ein Video dieser waffenverliebten Aggressivität ist im Kontext der Calaiser Migrationsgeschichte, von der immer auch rechte und rechtsextreme Akteur_innen zu profitieren versuchten, keineswegs alltäglich. Gleichwohl steht es in der gegenwärtigen Situation nicht isoliert, wie ein Blick auf einige weitere Filme belgt, die de Fleurian innerhalb weniger Tage auf verschiedenen Social Media-Kanälen verbreitete und die sich auf identifizierbare Ereignisse beziehen. Sollte sich darin der Versuch einer Radikalisierung der ohnehin schwierigen lokalen Situation durch die extreme Rechte andeuten, ist es umso wichtiger, das Material genau zu sichten und zu analysieren, was gezeigt und auf welche Weise medial inszeniert wird.

So veröffentlichte de Fleurian zwei Tage zuvor auf Facebook zwei Videos einer Gewaltszene, die sich am Sylvesterabend in Calais ereignet hatte und über die auch die Zeitung La Voix du Nord in zwei Artikeln (hier und hier) berichtete. Daraus geht hervor, dass ein Calaiser Bürger algerischer Herkunft von vier eritreischen Exilierten angegriffen, mit einer Kette misshandelt und lebensgefährlich verletzt wurde. Eines der Videos zeigt, wie der Mann reglos am Boden liegt. Zur gleichen Zeit kommt ein Auto ins Bild, das zunächst in die Gruppe der Angreifer hinein fährt. Das zweite Video zeigt das gleiche Auto kurz darauf, jedoch steuert der Fahrer diesmal auf die Exilierten zu, die sich bereits vom Tatort wegbewegen, überfährt einen von ihnen und verletzt ihn ebenfalls schwer. Anlass der Misshandlung mit der Kette soll die Belästigung einer Frau gewesen sein, auch Alkohol oder eine verbale Auseinandersetzung werden als mögliche Auslöser genannt. Der Fahrer des Autos soll ein Verwandter des Misshandelten gewesen sein, der versucht habe, diesem zu helfen. Allerdings zeigt das zweite Videos, dass das Überfahren nicht mehr in einer Notwehrsituation stattfand, sondern zu einem Zeitpunkt geschah, als von den Betroffenen keine Gefahr mehr ausging. Zwei Eritreer wurden inzwischen verhaftet und befinden sich in Untersuchungshaft, ihnen wird vesuchter Mord vorgeworfen. Auf dem Facebook-Kanal von Marc de Fleurian fehlt dieser Kontext gänzlich. Es bleiben zwei in der Tat brutale Videos und eine Verknüpfung von Migration und Gewalt, obschon die Tat abgesehen von der Herkunft und dem Status der Eritreer keinen Bezug zur Migration erkennen lässt (wenngleich die zermürbenden und gewaltdurchdrungenen Lebensbedingungen durchaus zur Verrohung beitragen können). Auch hier ist der Aufruf zur Wahl der rechtsextremen Präsidentschaftskandidatin an das Bild eines Waffeneinsatzes gegen Geflüchtete, nämlich des Überfahrens, geheftet.

Ein weiteres Video veröffentlichte de Fleurian wiederum einen Tag zuvor, am 30. Dezember 2021, auf Twitter. Mit einer vergleichbaren Textbotschaft versehen, zeigt es eine Auseinandersetzung zwischen Lastwagenfahrern und Exilierten. De Fleurian zufolge wurde die Szene nach der eskalierten Räumung des Old-Lidl-Geländes (siehe hier) gefilmt und dürfte damit im nahe gelegenen Gewerbegebiet Transmarck entstanden sein, über das wir bereits mehrfach im Zusammenhang mit dem Tod von Geflüchteten berichtet haben (siehe hier, hier und hier).

Was ist zu sehen? „Nach dem Angriff auf unsere Ordnungskräfte heute Morgen griffen illegale Migranten Lkw-Fahrer auf der Durchreise an“, textet de Fleurian. Tatsächlich sind im Vordergrund dunkle Gestalten zu sehen, die auf einem asphaltierten Platz Steine werfen, die möglicherweise bereits einmal in die Gegenrichtung geworfen worden sein können oder auch nicht; einige dieser Männer tragen Schlagwaffen. Aber diese Personen sind nicht die Exilierten, sondern, glauben wir de Fleurian, die Lastewagenfahrer. Exilierte sind vielmehr im Hintergrund erkennbar, einige tragen eine Metallpfahl herbei und werfen ihn in Richtung der Fahrer, die zu diesem Zeitpunkt ihrerseits Steine auf die Exilierten werfen. Auch einer der (mutmaßlichen) Fahrer hat sich mit einer langen Stange bewaffnet, weitere kommen mit Schlagwaffen herbei und ein stämmiger Mann zieht sich – offenbar in Erwartung einer Prügelei – Handschuhe über. Als all dies geschieht, befinden sich die Exilierten bereits hinter einem Metallzaun, der beide Gruppen trennt. Das Video zeigt also eine Gewalt, deren Beginn im Unklaren bleibt und die während des abgebildeten Zeitraums eher von den Fahrern ausgeht, denen de Fleurians Sympathie gilt. Darin ähnelt der Film dem eingangs beschriebenen Video, nur dass dort nicht ein Fahrer einen Knüppel, sondern der Filmer/User eine Knarre trägt.

Marc de Fleurian verfolgt die Auseinandersetzungen um das Old Lidl-Gelände bereits längere Zeit und sieht hierin offenbar eine politische Bühne. Auch der Tod eines Truckes, den wir zum Anlass einer differenzierten Auseinandersetzung mit der Situation der Fahrer_innen genommen haben (siehe hier), ist ihm nicht entgangen. Das Video mit der Pistole lässt jedoch befürchten, dass dies nicht genügen könnte. Offenbar spielen der Mann und seine Partei mit der Gewalt.