Seit Februar 2022 beherbergte ein besetzter Altbau in der Innenstadt von Calais obdachlose Migrant_innen, verbunden mit dem Anspruch, einen sozialen Raum jenseits von Nationalität und Status zu eröffnen. Das Projekt war im Oktober 2022 soweit legalisiert worden, dass es voraussichtlich bis 2025 hätte bestehen können (siehe hier, hier und hier). Am 2. Juli 2024 wurde es nun vorzeitig und nach Ansicht von Aktivist_innen rechtswidrig geräumt.
Aus dem Umfeld der Besetzer_innen wird gemeldet, dass die kommunale Polizei und Stadtverwaltung das Haus in der rue Sauvage am 14. Juni 2024 aufsuchten, um ein verhängtes Betretungs- und Aufentaltsverbot durchzusetzen. Ein solches Vorgehen werde normalerweise bei leerstehenden und als gefährlich eingetuften Gebäuden angewandt: „Der Plan war einfach, den Ort abzuriegeln und sich dem Druck eines extrem rassistischen und gewalttätigen Teils der Nachbarschaft zu beugen“, heißt es in einer Erklärung auf der Website des Netzwerks Calais Migrant Solidarity.
Am 2. Juli 2024, zwei Tage nach der ersten Runde der französischen Parlamentswahlen, kam es zur endgültigen Räumung. Dabei hätten Polizei und Stadtverwaltung den Umstand ausgenutzt, „dass sich eine Person, die kein Französisch sprach, allein in dem besetzten Haus aufhielt“. Diese sei zum Verlassen des Hauses aufgefordert worden, ohne dass ein Rechtstitel zur Räumung vorgelegen habe. Danach wurden die Zugänge zum Haus verschlossen und die darin befindlichen Gegenstände entweder entsorgt oder beschlagnahmt.
Die Polizei habe sich auf den Standpunkt gestellt, dass es sich nicht um eine Räumung handle, da sich niemand mehr in dem Haus befand. Die Aktivist_innen bewerten dieses Vorgehen als „Taschenspielertrick“: „Wenn niemand da ist, wird auch niemand geräumt, also ist keine soziale Diagnose erforderlich, und die Stadtpolizei kann ohne Rechtsgrundlage oder Genehmigung der Präfektur räumen.“ Die Räumung sei „vollkommen illegal“ gewesen.
Das Vorgehen der lokalen Behörden entspricht dem vielfach beschriebenen rechtlichen Graubereich bei Maßnahmen gegen Exilierte und in geringerem Maße auch gegen ihre Unterstützer_innen. Zugleich aber fällt es in eine Phase innenpolitischer Spannungen, rassistischer Anfeindungen und Gewaltakte im Vorfeld einer möglichen Machtübernahme durch die extreme Rechte in Frankreich. Wie es in dem Bericht der Aktivist_innen heißt, hätten Anwohner_innen angesichts der Räumung „ihren Spaß“ gehabt. Einer Person, die Französisch mit Aktenz sprach, sei gesagt worden: „Du bist keine Französin, nach den Wahlen kannst du nicht mehr hier sein“.