Im Sommer 2021 wurde auf dem Canal des Dunes bei Dunkerque eine schwimmende Barriere angelegt, um die Durchfahrt von Schlauchbooten durch den dortigen Fährhafen zum Ärmelkanal zu verhindern. Auf dem Fluss Canche in der Normandie besteht seit dem 10. August 2023 eine weitere schwimmende Barriere. Die Behörden des Departements Pas-de-Calais reagieren damit offenbar auf veränderte Techniken der Bootspassagen.
Diese beiden Anlagen sind weit von der Vorstellung schwimmender Barrieren inmitten des Ärmelkanals entfernt, wie sie im Spätsommer 2021 im Umfeld der britischen Regierung ventiliert wurden (siehe hier). Das vermutlich von zeitgleichen Plänen Griechenlands für die Ägäis angeregte Gedankenspiel verlief bald im Sande, während andere der damaligen Ideen (etwa sogenannte Offshore-Asylverfahren etwa in Ruanda) weiterverfolgt werden. Die jetzigen Barrieren in Nordfrankreich knüpfen hieran jedoch nicht an. Sie ergänzen vielmehr die bestehenden britischen Strukturen zur exterritorialen Migrationsbekämpfung im französischen Küstengebiet.
Die Barriere am Canal des Dunes
Die 2021 angelegte schwimmende Barriere soll die Durchfahrt von Schlauchbooten durch den Canal des Dunes in das Hafenbecken des Fährhafens von Dunkerque verhindern. Der Kanal verläuft dort parallel zur Küste. Auf halber Strecke zwischen dem Fährhafen und dem Zentrum von Dunkerque zweigt der Nouveau Canal de Mardyck (auch: Dérivation de Mardyck) ins Landesinnere ab und verläuft durch ein Gebiet zwischen den Gemeinden Grande-Synthe und Loon-Plage, wo sich seit Jahren Camps befinden.
Eines der wenigen Fotos der Barriere wurde am 9. Oktober 2021 vom französischen Innenminister Gérald Darmanin gepostet, als dieser angesichts steigender Zahlen von Bootsüberfahrten und politischer Differenzen mit der britischen Regierung mehrere neuralgische Punkte an der nordfranzösischen Küste besuchte (siehe hier). Das Foto zeigt eine Kette von Schwimmkörpern, die an beiden Ufern fixiert sind und zusätzlich von zwei Boyen in Position gehalten werden.
Allerdings erwies sich die Barriere bereits nach kurzer Zeit als ungeeinet, wie die Zeitung La voix du Nord jüngst resümierte: „Drei Wochen später gelang es den Booten bereits, durchzukommen“. Die Barriere sei daraufhin überarbeitet worden. Außerdem wurden an beiden Ufern des Canal des Dunes Barrieren aus Klingendraht mit einer Gesamtlänge von etwa zehn Kilometern errichtet. Hinzu kommen „regelmäßige Überflüge von Überwachungsdrohnen, die von den britischen Behörden im Rahmen der Bekämpfung der illegalen Einwanderung finanziert werden“.
Doch auch der Effekt dieser Maßnahmen ist begrenzt. Unter Berufung auf den Unterpräfekten von Dunkerque, François-Xavier Bieuville, stellt das Blatt fest, „dass sich das Problem nun auf die Kommunen Gravelines und Grand-Fort-Philippe verlagert hat. Es ist unmöglich, den Zugang zu jedem Meter Küste zu sperren.“ Bei Gravelines und Grand-Fort-Philippe mündet der Fluss Aa in den Ärmelkanal, dessen letzter Abschnitt zu einem Schifffahrtskanal ausgebaut ist.
Die Barriere am Fluss Canche
Die am 10. August 2023 fertiggestellte neu Barriere befindet sich am Fluss Canche bei Étaples, einer 10.000-Einwohner-Stadt südlich von Boulogne-sur-Mer. Dies ist das südwestliche Ende des Küstengebiets, von dem die meisten Schlauchboote ablegen und das von der belgischen Grenze im Osten über Dunkerque und Calais bis Kap Gris-Nez und von dort nach Süden über Boulogne-sur-Mer bis zur Gegend um die Canche-Mündung reicht. Die Stelle, an der die Präfektur des Departements Pas-de-Calais die Barriere angelegt ließ, befindet sich etwa zwei Kilometer vor dem Mündung der Canche in den Ärmelkanal.
Ein von der Calaiser Organisation Auberge des migrants veröffentlichtes Foto (siehe oben) zeigt eine an beiden Flussufern fixierte Kette aus Bojen, die so gefertigt sind, dass sie in die Höhe ragen und damit eine Art schwimmenden Zaun bilden. Medienberichten zufolge wurden Schifffahrt und Wassersport im Bereich der Barriere verboten.
Begründet wird die Maßnahme mit dem Phänomen der sogenannten Taxiboote. In einem vielzitierten Interview mit InfoMigrants erläuterte der Leiter des Office de lutte contre le trafic illicite de migrants (OLTIM; Büro zur Bekämpfung des Menschenschmuggels), Xavier Delrieu, wenige Wochen vor der Errichtung der neuen Barriere: „Jetzt gibt es viele Taxiboote, d. h. das Boot wird aufgepumpt und auf Wasserläufen, die zum Meer führen, zu Wasser gelassen. Die Schleuser fahren dann die Küste entlang und laden die Passagiere an einer bestimmten Stelle auf, sodass sie nicht am Strand abgefangen werden. Ab dem Zeitpunkt, an dem sich die Migranten im Wasser befinden, handelt es sich nicht mehr um eine Polizeiaktion, sondern um eine Seenotrettung.“ Letzteres ist ein entscheidender Punkt, denn die französische Polizei und Gendarmerie hindern Boote zwar aktiv und auch gewaltsam am Ablegen (siehe hier), greifen jedoch nicht mehr ein, wenn sich ein Boot auf See befindet. Die Technik der Taxiboote verkürzt den kritischen Zeitraum des Ablegens.
Im Fall der neuen Barriere veröffentlichte La voix du Nord eine Karte, die zwei mutmaßliche Ablegestellen der Boote flussaufwärts bei Énocq und eine dritte Stelle neben der Barriere in Étaples zeigt. Nach Angaben der Behörden wurden wurden seit Jahresbeginn 22 Vorfälle auf der Canche registriert, durchschnittlich seien die Boote mit 46 Personen überladen gewesen, häufig hätten sie keine Schwimmwesten gehabt.
Die Errichtung der Barriere hängt offenbar mit einer veränderten Einsatztaktik der Behörden zusammen. Nach Ansicht von La voix du Nord zielt diese angesichts der Anpassungsfähigkeit der Schleuser an veränderte Situationen „weniger darauf ab, die Abfahrten endgültig zu verhindern“, sondern soll „die Schleuser zu zwingen, sich an Orte zurückzuziehen, die den Ordnungskräften bekannt oder für die Exilanten weniger gefährlich sind.“ Das Blatt zitiert die zuständige Unterpräfektin des Arrondissements Montreui, Isabelle Fradin-Thirode: „Unsere Überwachungsmöglichkeiten sind begrenzt. Wir müssen daher die zu überwachenden Gebiete einschränken, um unsere Kräfte auf die Küste oder auch auf andere Aktionen als die Bekämpfung der illegalen Einwanderung zu konzentrieren.“
Vor diesem Hintergrund sind die schwimmenden Barrieren zwar Ausdruck einer immer weiter vorangetriebenen Sekuritisierung der Kanalküste. Es wird aber auch deutlich, dass eine flächendeckende Überwachung der Küste nicht praktikabel ist. Die Versperrung der Canche ist in erster Linie wohl eine Reaktion auf sichtbar gewordene Schwachstellen des Grenzregimes.