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Calais

Erneute Räumung in Calais

Das seit Jahren als informeller Lebensort genutzte Gebiet an der Grenze der Kommunen Calais und Marck war am 4. April 2024 erneut Schauplatz von einer größeren Räumung (zu früheren siehe hier, hier, hier und hier). Etwa hundert Menschen wurden in Aufnahmezentren außerhalb von Calais gebracht. Die lokale Menschenrechtsorganisation Human Rights Observers wirft den Behörden ein unverhältnismäßiges und inhumanes Verhalten vor.

Dieser Typus von Räumungen wird von den Verantwortlichen mit dem Begriff mise à l’abri umschrieben, also als eine Maßnahme zur Sicherheit und zum Schutz der Exilierten. Sie unterscheidet sich darin von den in Calais ebenfalls typischen Räumungen im Zweitagesturnus. Entsprechend hob die Präfektur in einer kurzen Mitteilung hervor, dass die Bewohner_innen in der Region Hauts de France untergebracht worden seien. Sie veröffentlichte Fotos, die die elenden Lebensumstände in den geräumten Camps unterstreichen sollen. In einem weiteren Tweet zeigte sie Fotos eines gewöhnlichen Küchenmessers, eines Cutters und einer Schwimmweste als Belege dafür, dass in dem geräumten Gebiet „Schleusernetzwerke ihr Unwesen treiben“.

Tweet der Präfektur des Departements Pas-de-Calais zur Räumung am 4. April 2024. (Quelle: Préfet PAs-de-Calais / X)

Zwei Tage später sprachen Human Hights Observers in einer Presseerklärung von „unmenschlichen Vertreibungs- und Zerstörungsaktionen“. Demnach begann der Einsatz von Nationalpolizei, CRS, Grenzpolizei und einem Entsorgungsteam gegen 5 Uhr und richtete sich gegen drei informelle Lebensorte von Exilierten: „In der Dunkelheit der Nacht gingen die Ordnungskräfte mit äußerster Gewalt vor, schlugen auf die Zelte ein und brüllten Befehle, um die Bewohner zu wecken und zu terrorisieren. Es folgte eine regelrechte Menschenjagd, deren Ziel es war, die Exilierten gewaltsam in Busse zu zwingen, ohne ihnen einen Hinweis auf das Ziel zu geben.“ Der Bustransfer in Aufnahmezentren, die stets in räumlicher Distanz zur Grenze liegen, ist bei solchen Räumungen gängig, meist verbunden mit Drohung, andernfalls festgenommen zu werden. Dies war, so Human Rights Observers, auch diesmal der Fall: „Die Menschen hatten die ‚Wahl‘, entweder in die unbekannten Busse einzusteigen oder sich von der Grenzpolizei festnehmen zu lassen, die geduldig neben der Bustür wartete.“

Dem bekannten Muster folgend, endete die Räumung mit der Entsorgung der zurückgelassenen Gegenstände. „Zelte, Planen, Paletten, Medikamente, Telefone und andere persönliche Gegenstände wurden beschlagnahmt oder zerstört, offensichtlich mit dem Ziel, eine Neuansiedlung unmöglich zu machen“, so Human Richts Observers.

Aus Sicht der Gruppe sind Räumungen wie diese „das Ergebnis einer zunehmend beklemmenden Sicherheitspolitik, die vom Innenministerium und der Präfektur von Calais umgesetzt wird“. Die Gruppe weist darauf hin, dass die seit dem 11. März amtierende Calaiser Unterpräfektin Agathe Curry offenbar entschlossen sei, „diesen Weg weiter zu verfolgen“.

Erwiderung von Human Rights Observers auf die darstellung der Präfektur. (Quelle: HRO / X)

Die Präfektur bestritt die Darstellung der Menschenrechtsgruppe, insbesondere in Bezug auf das gewaltsame Vorgehen und die Wegnahme von persönlichem Besitz, und nannte sie „falsch und verleumderisch“. Gleichwohl ging das Dementi kaum über allgemeine Hinweise etwa auf die vermeintliche Freiwilligkeit des Bustransfers oder die Anwesenheit eines Dolmetschers hinaus. Das generelle Abstreiten rechtswidriger oder problematischer Routinen und die Diskreditierung zivilgesellschaftlicher Akteure sind in der Social-Media-Kommunikation der Behörden inzwischen häufig zu finden. Auch dies ist Ausdruck einer zuhaltend beklemmenden Sicherheitspolitik.