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Channel crossings & UK

„Boat slashing failed to stop migrants“

Ein Einsatzprotoll der französischen Leitstelle CROSS Gris-Nez verdeutlicht die Risiken, die einem systematischen Stoppen der Schlauchboote im küstennahen französischen Gewässer verbunden wären. Eine solche Praxis soll nach dem britisch-französischen Gipfel vom 10. Juli künftig legalisiert werden (siehe hier), wird aber faktisch bereits praktiziert. Das dem britischen Guardian vorliegende Protokoll dokumentiert, dass ein von französischen Gendarmen durch Stiche beschädigtes Boot den Ärmelkanal dennoch überquerte und einige Stunden aus dem Blick der Rettungsleitstelle geriet.

Der Vorfall ereignete sich in der Nacht vom 9. auf den 10. Juli 2025. Es war, so der Guardian, „nur wenige Stunden vor der Ankündigung von Starmer und Macron“, das Aufbringen der Boote in einer Zone von 300 Metern entlang der Küste in die Einsatzrichtlinien von Polizei bzw. Gendarmerie aufnehmen zu wollen. Zu diesem Zeitpunkt hatten NGOs und BBC bereits zwei Fälle dokumentiert, bei denen französische Einsatzkräfte am 13. Juni und 4. Juli jeweils ein voll besetzes Schlauchboot im flachen Gewässer mit Messern aufgestochen hatten (siehe hier und hier). Der nun dokumentierte Fall belegt also, dass im Vorfeld des Londoner Gipfels mindestens dreimal innerhalb eines Monats ein Boot auf See aufgestochen wurde – wobei 55 Menschen in akute Lebensgefahr gerieten.

Bei dem geleakten Protokoll handelt es sich um einen Situationsreport oder „Sitrep“ des CROSS Gris-Nez, das sämtliche Rettungseinsätze in der entsprechenden Meeresregion koordiniert. Laut Guardian „begann der Vorfall um 23:21 Uhr in der Nacht des 9. Juli, als die Gendarmerie das Auslaufen eines Schlauchbootes aus Cayeux-sur-Mer verhinderte, indem sie es durchstach. Danach verloren sie das Boot aus den Augen und um 23:22 Uhr wurde die Küstenwache gebeten, mit Luft- und Seemitteln zu suchen.“

Das beschädigte Boot sei dann „in den frühen Morgenstunden des 10. Juli“ wieder entdeckt worden. „Obwohl es aufgeschlitzt war, nahm es entlang der Küste weitere Passagiere auf und erreichte das Vereinigte Königreich noch am selben Tag mit 55 Passagieren“. Auf der britischen Seite des Kanals seien die Menchen dann von einem Boot der zivile Seenotrettung RNLI geborgen worden.

Die Zeitung zitiert eine nicht näher benannte Quelle „aus Kreisen der französischen Küstenwache“. Ihr zufolge zeige der Vorfall, „dass selbst wenn die Gendarmerie ein Schlauchboot aufgeschlitzt habe, die Menschen an Bord nicht von dem Versuch abgehalten würden, das Vereinigte Königreich zu erreichen, sofern es schwimmfähig bleibe.“ Auch zeige der Vorfall, „dass die Taktik des Aufschlitzens von Booten zusätzliche Ressourcen für die Seenotrettung erfordert“.

In der betreffenden Nacht erreichten 573 Passagier_innen in zehn Booten britisches Hoheitsgebiet. Die französische Seepräfektur berichtete nicht von einem Rettungseinsatz während dieser Nacht. Das aufgeschlitzte Boot verschwand also in einer Gesamtsituation aus dem Blick der Gendarmerie und später der Rettungsleitstelle, die gemessen an anderen Nächten vergleichsweise ruhig verlief. Was aber, wenn sich eine ähnliche Situation wiederholen sollte, wenn beispielsweise zeitgleich stattfindende Einsätze die Rettungskräfte binden? Alles in allem bestätigt das Protokoll die Befürchtung, dass ein aktives Aufbringen der Boote das Leben der Passagier_innen unnötig in Gefahr bringen wird. Auch der Guardian überschrieb seinen Artikel mit: Leaked document shows boat slashing failed to stop migrants reaching UK.