Während die Räumung eines eritreischen Camps in Calais durch eine bemerkenswerte juristische Intervention verhindert werden konnte (siehe hier), wurden andere migrantische Lebensorte in Grande-Synthe und Calais geräumt und unbrauchbar gemacht. Dabei griffen die Behörden zu brachialen Methoden: In Grande-Synthe wurde ein Gelände, das als Camp und Treffpunkt u.a. mit improvisierten Teestuben gedient hatte, nach der Räumung umgepflügt. In Calais wurde ein von Migrant_innen genutztes Gewerbegrundstück mit tonnenschweren Felsklötzen versperrt.
Das Umpflügen des geräumten Terrains in Grande-Synthe erfolgte am 10. März 2021. Wie die Human Rights Observers uns berichteten, hatten die Behörden den Räumungsdruck auf die Camps und Treffpunkte der Geflüchteten in Grande-Synthe seit Februar erhöht (siehe hier) und Anfang März auf einen wöchentlichen Turnus gesteigert. Die Camps befinden sich seit Jahren im weitläufigen Natur- und Freizeitgebiet Puythouck, dessen südlicher Teil von einem See inmitten einer parkähnlichen Landschaft geprägt ist, während der nördliche Teil stärker bewaldet ist. Die im März durchgeführten Räumungen sollten die Geflüchteten offenbar aus dem südlichen Teil in den viel ungünstigeren nördlichen Teil verdrängen. In diesem Kontext erfolgte auch das Umpflügen.
Im Zuge der Räumungsserie nahm die Zahl der undokumentiert in Grande-Synthe lebenden Menschen kontinuierlich ab, was angesichts zahlreicher erfolgreicher Bootspassagen nicht unbedingt nur ein Effekt der Räumungen sein muss. Weitere Räumungen sind danach für den 19. März (mit 75 beschlagnahmten Zelten) und 27. März (100 Zelte) dokumentiert.
Die Unbrauchbarmachung eines Camps durch Steine geschah am 30. März 2021 auf dem Gelände des leerstehenden Möbelhauses Conforama am westlichen Rand von Calais. Von diesem Teil der Stadt aus lässt sich die von Lastwagen genutzte Zufahrt zum Verladebahnhof des Kanaltunnel erreichen. Bereits im November 2020 wurde ein Camp am nahegelegenen Fort Nieulay (einer historischen Festungsanlage) geräumt und am 17. Dezember ein Platz am Eingang des Forts, den unabhängige Organisationen für die Verteilung von Hilfsgütern nutzten, unbefahrbar gemacht (siehe hier) – durch das Auftürmen zweier Barrieren aus den gleichen Felsblöcken, wie die Stadtverwaltung sie auch jetzt wieder einsetzte.
Die Räumung geschah, wie Betroffene den Human Rights Observers berichteten, „unter Zwang“ und „ohne jede Information“. Rund 70 Personen wurden, wie bei diesem Typus von Räumungen üblich, in CAES genannte Zentren außerhalb von Calais gebracht, aus denen bereits am gleichen Tag 25 wieder zurückkehrten. Außerdem wurden „mindestens 50 Zelte beschlagnahmt“.
Taktische Landschaftseingriffe wie das Umpflügen oder die Errichtung von Steinsperren sind keineswegs neu und reichen von gezielt eingesetzten Rodungen über großflächigen Umzäunungen bis hin zur professionellen Naturgestaltung nach grenztaktischen Gesichtspunkten (siehe hier). Das Umpflügen aber ist uns bei unseren Recherchen bislang noch nicht begegnet.