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Calais

Serie neuer Räumungen in Calais

Räumungen am 6. April, hier im eritreischen BMX-Camp. (Foto: Human Rights Observers)

Am Nachmittag des 6. April 2021 fand in Calais eine Serie neuer Räumungen statt. Sie richtete sich gegen insgesamt sechs Camps, war mit der Wegnahme von persönlichem Eigentum im großen Umfang verbunden und unterschied sich von den „normalen“ morgendlichen Polizeioperationen im 48-Stunden Turnus. Die Räumungen geschahen unangekündigt und überraschten die Geflüchteten, die zwar vor Ort bleiben konnten, aber kaum eine Möglichkeit hatten, ihre Sachen in Sicherheit zu bringen. Am heutigen 9. April folgten weitere Räumungen, die sich gegen die verbliebenen Camps unter den Quaibrücken in der Calaiser Innenstadt richteten. Wir werden auf die Entwicklung noch genauer eingehen und dokumentieren zunächst eine Presseerklärung der Human Rights Observers zu den Ereignissen am 6. April.

Presseerklärung der Human Rights Observers

Am 6. April fanden zwischen 15 und 18 Uhr sechs groß angelegte Räumungsoperationen in Calais statt. Ohne eine begleitende Unterbringungs- bzw. Schutzmaßnahme wurden die Exilierten von ihren Lebensorten vertrieben. Die HRO-Teams zählten mindestens 126 Zelte, 170 Planen und 77 Decken, die den Geflüchteten von der Polizei abgenommen wurden. Mindestens 76 dieser Zelte enthielten persönliche Gegenstände, die nicht geborgen werden konnten. Die vertriebenen Menschen sagen, dass sie bei dieser Operation viele Wertsachen wie Ausweispapiere, Medikamente, Handys und Geld verloren haben.

Die Räumungen fanden statt, als die Temperaturen gestern auf 3°C fielen. Die Behörden entschieden sich, den Plan Grand Froid [Plan für kaltes Wetter; bei Aktivisierung des Plans werden Behelfsunterkünfte geöffnet, siehe hier) nicht zu aktivieren, während sie fast 300 Menschen ihre Zuflucht nahmen und sie ungeschützt vor Hagel und Schnee zurückließen.

Der Commissaire central, der zum Zeitpunkt dieser Operationen anwesend war, rechtfertigte diese Räumungen mit einer in flagranti stattfindenden Landbesetzung, obwohl in flagranti keine Grundlage für eine Räumung sein kann. Es ist besonders bezeichnend, dass eine dieser Räumungsoperationen nur elf Tage nach einer Gerichtsentscheidung zugunsten der Bewohner_innen eines dieser Plätze stattfand. Und zwar hatte das Verwaltungsgericht Lille in einem Beschluss vom 26. März 2021 den Antrag der Stadt Calais auf eine Eilmaßnahme zur Räumung des von der eritreischen Community bewohnten Geländes abgelehnt (siehe hier). Der Richter hatte insbesondere festgestellt, dass auf diesem Gelände „die staatlichen Dienste sanitäre Einrichtungen für die Migranten eingerichtet haben und der dafür beauftragte Verein La Vie active zweimal täglich Essen und Trinkwasser verteilt“.

Während der Verwaltungsrichter also den Antrag auf Räumung eines dieser Plätze abgelehnt hat, erscheint die Anwendung des strafrechtlichen Instruments in Bezug auf eine in flagranti begangenen Tat umso missbräuchlicher. Dieses Manöver zur Umgehung legaler Weg dient einer repressiven Politik der Schikane gegen exilierte Personen in Calais.

Diese Räumungen sind ein weiterer Schritt der Behörden in Richtung Inhumanität und Rechtsmissbrauch in Calais.

(Diese Presseerklärung der Human Rights Observers vom 7. April 2021 wurde mitunterzeichnet von: Amnesty Region Nord-Pas-de-Calais Somme, L’Auberge des Migrants, La Cabane juridique, Médecin du Monde, Project Play, Collective Aid, Utopia 56 Calais, Salam Nord/Pas-de-Calais, Secours Catholique, Refugee InfoBus)