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„Gerechtigkeit für Aleksandras Familie“

Im Februar dokumentierten wir hier den offenen Brief einer Frau über den Verlust ihres neu geborenen Kindes Aleksandra. Sie klagt darin das Verhalten der französischen Polizisten an, die nach einer misslungenen Bootspassage keinerlei Hilfe leisteten, als die Geburt einsetzte. Später, bei der Geburt, kam es zu Komplikationen und Aleksandra starb nach wenigen Tagen. Die Familie hat inzwischen Anzeige gegen die beteiligten Beamten erstattet. In einer gemeinsamen Erklärung, die wir nachstehend in deutscher Übersetzung veröffentlichen, solidarisieren sich nun zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen mit der Familie. Die Erklärung ist auch in Französisch, Englisch und Sorani verfügbar.

Gerechtigkeit für Aleksandras Familie

Am 19. Februar 2021 haben Rupak Sharif und Hazhar Ibrahim Anzeige gegen Polizeikräfte erstattet, und zwar auf Grund vorsätzlicher Gewalttätigkeiten gegenüber einer schwangeren Frau, unterlassener Hilfeleistung sowie Gefährdung Dritter, was möglicherweise zum Tod ihres Kindes, Aleksandra, kurz nach der Geburt geführt hat. Diese aus dem irakischen Kurdistan stammenden Eltern bitten die Justizbehörde, die sie betreffenden Vorkommnisse in einer Nacht des vorigen Jahres aufzuklären.

Heute erklären wir, Hilfsorganisationen an der Seite der Exilierten an der britisch-französischen Grenze, dass wir Rupak Sharif und Hazhar Ibrahim bei ihrer Anzeige unterstützen.

In der Nacht vom 1. auf den 2. September 2020, gegen 4 Uhr morgens, wird eine Gruppe von Exilierten, die im Begriff sind, den Ärmelkanal zu überqueren, an der Küste in der Nähe von Oye-Plage (im Departement Pas-de-Calais) von patrouillierenden Polizeikräften zur Identitätsfeststellung vorübergehend festgenommen. Zu dieser Gruppe gehören Rupak Sharif und Hazhar Ibrahim sowie ihre zwei Kinder im Alter von 9 und 2 Jahren. Zu dieser Zeit ist die Mutter, Rupak Sharif, in der 35. Schwangerschaftswoche.

Den Aussagen der Familie zufolge hat Rupak Sharif kurz nach der vorübergehenden Festnahme starke Schmerzen und verliert sogar das Fruchtwasser. Mehrmals bitten Rupak Sharif und Ibrahim Hazhar die Polizeikräfte darum, sie dringend ins Krankenhaus zu bringen – vergeblich. Nachdem sie die Exilierten fast drei Stunden in der Kälte zurückgehalten haben, verlassen die Polizeikräfte die Kontrollstelle, ohne Rupak Sharif auf irgendeine Weise geholfen zu haben, und dies trotz ihres Gesundheitszustandes und der Bitten ihrer Familie.

Gegen 7 Uhr morgens versucht die Familie, sich vor ihrer Rückkehr nach Calais zu erwärmen. Von einer anderen Polizeistreife wird der Rettungsdienst letztendlich angerufen und ein Krankenwagen zu der Kontrollstelle geschickt.

Im Krankenhaus von Calais wird Rupak Sharif sofort versorgt und sie gebärt die kleine Aleksandra Hazhar. Bei der Geburt leidet das kleine Mädchen unter zahlreichen neurologischen Komplikationen und Atembeschwerden. Drei Tage später wird der Gesundheitszustand von Aleksandra Hazhar trotz aller Bemühungen des ärztlichen Teams nicht besser. Mit Zustimmung der Eltern wird beschlossen, die künstliche Beatmung einzustellen. Aleksandra Hazhar stirbt am 5. September 2020.

Von diesen Ereignissen traumatisiert, beschlossen Rupak Sharif und Hazhar Ibrahim Anzeige gegen die Polizeikräfte zu erstatten.

Es wurden Ermittlungen auf Grund unterlassener Hilfeleistung aufgenommen.

Kurz nach Anzeigenerstattung gab der Präfekt des Pas-de-Calais ein Kommuniqué heraus, wonach die Polizeikräfte keinerlei Verschulden in der Abfolge der Ereignisse hätten, die zum Tod von Aleksandra Hazhar geführt haben. Der Präfekt behauptete insbesondere, dass „keiner der Exilierten besondere Schwierigkeiten gemeldet hätte“. Dieses Kommuniqué widerspricht gänzlich den Aussagen der Opfer, Rupak Sharif und Hazhar Ibrahim.

Wir, Hilfsorganisationen an der Seite der Exilierten an der britisch-französischen Grenze, sind nicht mit der vom Präfekten kommunizierten Version der Ereignisse einverstanden. Wir erklären uns solidarisch mit Rupak Sharif und Hazhar Ibrahim in ihrem Wunsch nach Gerechtigkeit hinsichtlich der Ereignisse, mit denen sie konfrontiert wurden. Demnach werden wir das Fortschreiten der Ermittlungen und deren Ergebnis mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.

Unterzeichnende Organisationen:

ACC Minorités visibles, AmiS, Auberge des migrants, Collective Aid, Gisti, Emmaüs France, La Cabane juridique, Migration 59, MRAP Littoral dunkerquois, Refugee Infobus, Refugee Women’s Centre, Salam Nord/Pas-de-Calais, Solidarity Border, Utopia 56

(Übersetzung: Nicole Guyau)