Wenige Tage nach der Veröffentlichung des Illegal Immigration Bill – der bislang schärfsten Gesetzesinitiative gegen die Geflüchteten auf der Kanalroute – nutzte Rishi Sunak das 36. britisch-französische Gipfeltreffen am 10. März 2023 in Paris als Bühne, um weitere Maßnahmen anzukündigen. Nicht ganz 50 Sekunden brauchte der britische Premierminister in seinem seinem Statement auf der Pressekonferenz, um auf die irreguläre Migration und die small boats im Ärmelkanal zu sprechen zu kommen. Ein knappes Viertel seiner Redezeit widmete er dem Thema, noch bevor er auf den Krieg gegen die Ukraine, die Energieversorgung und die militärische Zusammenarbeit zu sprechen kam.
Emmanuel and I share the same belief: criminal gangs should not get to decide who comes to our countries. Within weeks of my coming into office, we agreed our largest ever small boats deal.
And today, we’ve taken our co-operation to an unprecedented level to tackle this shared challenge. We’re announcing a new detention centre in Northern France, a new command centre bringing our enforcement teams together in one place for the first time and an extra 500 new officers patrolling French beaches.
All underpinned by more drones and other surveillance technologies that will help ramp up the interception rate.
And the legislation the UK has introduced this week supports this because it’s designed to break the business model of the criminal gangs and remove the pull factors bringing them to the Channel coast.
Now, we will always comply with our international treaty obligations but I am convinced that within them we can do what is necessary to solve this shared problem – and stop the boats.
https://www.gov.uk/government/speeches/pm-remarks-at-uk-france-summit-press-conference
Emmanuel und ich teilen die gleiche Überzeugung: kriminelle Banden sollten nicht entscheiden, wer in unsere Länder kommt. In den ersten Wochen nach meinem Amtsantritt, haben wir das bis dahin umfassendste Abkommen zu den kleinen Booten [im Ärmelkanal] geschlossen.
Und heute haben wir unsere Kooperation auf eine nie dagewesene Ebene gehoben, um dieser Herausforderung zu begegnen. Wir kündigen eine neue [Abschiebe-]Haftanstalt in Nordfrankreich an, eine neue gemeinsame Kommandozentrale, die erstmalig unsere Sicherheitskräfte an einem Ort zusammenbringt und 500 zusätzliche Polizisten, die an französischen Stränden patrouillieren werden.
Das alles unterstützt von mehr Drohnen und anderer Überwachungstechnologien, die uns helfen werden, die Abfangquote zu erhöhen.
Die diese Woche im Vereinigten Königreich begonnene Gesetzgebung unterstützt das, denn sie hat zum Ziel, das Geschäftsmodell der kriminellen Banden zu zerstören und die Pull-Faktoren zu beseitigen, die sie an die Kanalküste bringen.
Nun, wir werden immer unseren internationalen Verpflichtungen nachkommen, aber ich bin überzeugt davon, dass wir in ihrem Rahmen das Nötige tun können, um dieses gemeinsame Problem zu lösen – und die Boote zu stoppen.
Eigene Übersetzung
Politische und kommunikative Prioritäten
Sunak bleibt sich in der Kommunikation damit politisch treu. Die small boats hatten es bei seinem Amtsantritt in die Liste der fünf Versprechen geschafft, und die britisch-französische Zusammenarbeit dürfte zu den anderen vier kaum etwas beizutragen haben.
Dass sich damit die politischen Prioritäten im britisch-französischen Verhältnis fundamental verschieben, wird man auf Basis der gemeinsamen Abschlusserklärung eher nicht annehmen können. Die irreguläre Migration taucht nach der Ukraine, der politischen Zusammenarbeit in Europa, Verteidigungsfragen, Bekämpfung von Cyberkriminalität und Terrorismus, der weltweiten politischen Lage und der Energieversorgung an vorletzter Stelle auf.
Basierend auf den aus Sunaks Sicht bisher erzielten „positiven Ergebnissen“ der bilateralen Zusammenarbeit – gemeint sind 1.381 verhinderten Überfahrten mit 33.788 irregulären Migrant*innen bis 2022 – wurde im Rahmen des Pariser Gipfeltreffens dennoch ein medial viel beachtetes Maßnahmenpaket angekündigt.
Neue britisch-französische Vereinbarungen
Die Abschlusserklärung des Gipfels formuliert das gemeinsame Ziel, das „Problem“ nicht nur zu behandeln, sondern ihm „ein Ende zu setzen“ (Original: „Ils se sont engagés à renforcer leur coopération bilatérale, non pour gérer le problème mais pour y mettre un terme“). Dies ist bemerkenswert, denn das Ziel einer Schließung der Kanalroute findet sich zwar leit Längerem in der Rhetorik der britischen Regierung, doch wurde sie von französischer Seite bislang nicht explizit übernommen.
Um dieses Ziel zu erreichen, kündigte Sunak eine Aufstockung der finanziellen Unterstützung für Frankreich auf insgesamt 541 Millionen Euro an (141 Millionen Euro für 2023/24, 191 Millionen Euro für 2024/25 und 209 Millionen Euro für 2025/26). Mit diesen britischen Investitionen soll erstmals die Einrichtung eines Abschiebegefängnisses in Frankreich mitfinanziert werden, das in den Augen der beiden Staatschefs „erheblich dazu beitragen wird, die Zahl der Rückführungen zu erhöhen und neue Überfahrtsversuche zu verhindern“.
Weiterhin soll die Überwachungszone in Nordfrankreich ausgeweitet werden, was durch die Finanzierung von 500 zusätzlichen Sicherheitskräften in Nordfrankreich ermöglicht werden soll. Zudem soll die Überwachungsinfrastruktur einschließlich Drohnen, Hubschraubern und Flugzeugen weiter aufgerüstet werden. Hinzu kommen Vereinbarungen zum besseren Austausch von Informationen, zur besseren Koordindation der Ermittlungs- und Strafverfolgungsbebörden und einem gemeinsamen operativen Lagezentrum.
Die Abschlusserklärung enthält keine Aussagen über die Rücknahme von in Großbritannien aufgegriffenen Channel migrants. Einem von Sinuk gewünschten bilateralen Abkommen zur Rücknahme von Flüchtlingen erteilte Macron eine Absage: Frankreich könne nicht alleine mit Großbritannien darüber verhandeln. Dies sei Angelegenheit der EU. Ein solches Abkommen kam jedoch bislang nicht zustande.
Kontext und Folgen
Die britisch-französische Gipfelerklärung steht im Kontext einer langen Reihe bilateralaler Vereinbarungen über Grenz- und Migrationskontrolle in der Ärmelkanalregion. Die zumeist jährlich fortgeschriebenen Abkommen enthalten jeweils einen Rahmen für Projekte und laufende Maßnahmen, die Großbritannien auf französischem Territorium finanziert. Die in der Gipfelerklärung genannten Zahlen sind in diesem Kontext zu sehen: Sunak teilt mit, wieviel London in den kommenden Jahren zu investieren bereit ist.
Diese Investitionen nahmen bereits in den vergangenen Jahren kontinuierlich zu. Die aktuelle bilaterlale Vereinbarung vom 14. November 2022 hat einen Finanzrahmen von 70,2 Millionen Euro, allerdings umfasst sie hauptsächlich die Weiterführung und begrenzte Ausweitung bestehender Maßnahmen, jedoch keine wirklich neuen Projekte. Die von Sunak genannten Zahlen bedeuten allerdings eine Verdopplung der Summe in 2024/25 und eine Verdreifachung in 2025/26. Ein großer Teil dieser zusätzlichen Finanzmittel dürfte für die Finanzierung 500 zusätzlichen Sicherheitskräfte aufgewendet werden müssen, die dann in einem größeren geographischen Raum das Ablegen von Booten verhindern sollen.
Der angekündigte Bau des Gefängnisses dürfe kaum dazu führen, die Kanalroute zu „schließen“. Momentan betreibt die französische Grenzpolizei in Nordfrankreich zwei solche Anlagen: Das Coquelles Centre de Rétention Administrative bei Calais und ein weiteres Haftzentrum in Lille, beide mir einer Kapazität von etwa 80 Plätzen. Die nächstgelegenen Haftzentren befinden sich im Großraum Paris und in Cherbourg. Sollte Großbritannien Frankreich in den nächsten Jahren tatsächlich ein weiteres Abschiebegefängnis finanzieren, so würde es damit in erster Linie eine aus Sicht der Migrationsbekämpfung defizitäre Infrastruktur verbesssern – weit entfernt von einer Drohkulisse, die Menschen tatsächlich von einer Bootspassage abhalten könnte.
Zu befürchten ist vor allem eine räumliche Ausweitung und Intensivierung der Küstenüberwachung, aber auch der Überwachung der Infrastrukturen im Hinterland. Die Passagier*innen der small boats werden dadurch größere Risiken in Kauf nehmen und möglicherweise auch wesentlich längere Routen zurücklegen müssen. Je höher aber die Investitionen in ein solches Grenzkonzept sind, um so höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass der einmal eingeschlagene Pfad über einen langen Zeitraum begangen wird. Ihn zu verlassen, also Grenze und Migration in der Kanalregion politisch neu auszuhandeln, wird umso schwieriger. Insofern hat die britische Regierung nicht zuletzt ihre eigene rechte Agenda zementiert.