Einsatzkräfte gehen an der nordfranzösischen Küste weiterhin gewaltsam gegen ablegende Boote vor. Dabei setzten sie in den vergangenen Monaten auch Boote in Brand. Offizielle Zahlen belegen zudem, dass der größte Teil der schiffbrüchigen Migrant_innen in Nordfrankreich keine angemessene Versorgung erhält.
Über den jüngsten Fall berichtete Utopia 56 am 18. Mai 2023. Ein in der Nähe von Calais aufgenommenes Foto zeigt Spuren des Einsatzes von CS-Gas und die noch brennenden Überreste eines Schlauchboots. In einem Tweet spricht die Organisation von „durchnässten Frauen, Männern und Kindern mit roten Augen und einem Polizeikommissar, der das Ganze ‚humanitäre Arbeit‘ nennt.“
Bereits am 28. März 2023 hatte Utopia 56 ein Video veröffentlicht, das ein brennendes Boot am Strand zeigt. Dreißig Geflüchtete seien am 26. März von der Polizei mit CS-Gas zurückgedrängt worden, als sie den Ärmelkanal überqueren wollten. Unter den Geflüchteten seien mehrere Kinder und Jugendliche gewesen. „Anschließend zündeten die Polizisten das Boot mit einem Feuerzeug an, bevor sie die Menschen am Strand zurückließen.“
Im März hatten auch lokale Medien über ein brennendes Boot am Strand bei Oye-Plage östlich von Calais berichtet. Dieses sei am 17. März – nach Angaben der Behörden – von den Geflüchteten selbst in Brand gesetzt worden. Zuvor habe die Gendarmerie die Passagier_innen mit CS-Gas vertrieben und das Boot unbrauchbar gemacht (siehe hier).
In einer am 19. April 2023 veröffentlichten Erklärung ordnete Utopia Fälle wie denjenigen vom 26. März in den Kontext struktureller Gewalt am Ärmelkanal ein. Diese Gewalt äußere sich vor allem darin, „dass Menschen nach der Überfahrt oder dem Versuch der Überfahrt in Gefahr gebracht und zurückgelassen werden.“ Die Organisation verweist auf ein Schreiben des Präfekten des Departements Pas-de-Calais, in dem dieser mitteilt, dass 2022 im Rahmen eines neuartigen Protokolls 3.609 Menschen von den Behörden versorgt und über 1.030 Schiffbrüchige in Sicherheit gebracht worden seien. Allerdings seien nach Angaben der zuständigen Seepräfektur im selben Jahr 6.600 auf See gerettete Migrant_innen in die Häfen des Departements gebracht worden. Dies bedeutet, dass allein im Departement Pas-de-Calais „mindestens 85 % der Personen […] nach traumatischen Erlebnissen ohne Unterbringungsmöglichkeit zurückgelassen wurden.“
Nicht selten kontaktiere die Polizei dann Utopia, „um Menschen in Not zu helfen, für die es keine offiziellen Lösungen gab.“