Eine Phase ungewöhnlich starker Regenfällen hat in Nordfrankreich zu Überschwemmungen geführt und für die rund 4.000 Exilierten in ihren provisorischen Camps eine unerträgliche Situation geschaffen: Der Boden hat sich in Morast verwandelt, Zelte stehen buchstäblich im Wasser, Kleidung ist nicht mehr zu trocknen. Von der Hilfe der Behörden für die Opfer der Katastrophe bleiben die Exilierten ausgeschlossen. Die Calaiser Fotografin Julia Druelle hat die Situation dokumentiert. Ihre Bilder entstanden am 10. November 2023 in Old Lidl, dem größten Camp im Raum Calais.
In einem Beitrag für Reporterre fasst die Fotografin zusammen, dass in der Region Pas-de-Calais „innerhalb von zehn Tagen die Regenmenge von drei Monaten“ gefallen sei. Offiziell seien 230 Gemeinden von der Naturkatastrophe betroffen. „Die Präfektur zählte mehr als 10.000 Geschädigte und es fanden 1.355 Evakuierungen statt. Die lokalen Behörden mobilisierten städtische Einrichtungen, Unterkünfte und Wohnheimplätze, um Menschen in Not unterzubringen.“
Die geschätzt 4.000 Exilierten, die momentan in den nordfranzösischen Camps leben, davon etwa 1.500 im Calais, blieben im Wesentlichen sich selbst überlassen. Julia Druelle beschreibt Old Lidl als „eine riesige Schlammpfütze, in deren Mitte dürftige Zelte stehen, die angesichts der Nässe und Kälte einen lächerlichen Schutz bieten.“
Während des Sturms Ciaran am 3. November hatten die Behörden besondere Notunterkünfte bereitgestellt (siehe hier). Die Maßnahme wurde nicht verlängert. Theoretisch hatten Exilierte danach zwar Zugang zu allgemeinen Infrastrukturen für Obdachlose und Geflüchtete, doch waren diese teils nicht erreichbar, teils überlastet sowie in räumlicher Distanz. Am 10. November forderten zwölf lokale Organisationen in einem offenen Brief an die Unterpräfektin von Calais eine menschenwürdige Unterbringung und machten konkrete Vorschläge für Sofortmaßnahmen. Außerdem protestierten Geflüchtete und Unterstützer_innen zwischen dem 8. und 14. November dreimal vor der Unterpräfektur, um die Unterbringung besonders schutzbedürftiger Menschen zu erreichen. Es handelte sich um Familien, Kinder und Jugendliche sowie mehrere schwangere und kranke Personen. Diese Bemühungen blieben bislang ergebnislos.
Die in Calais üblichen Räumungen im 48-Stunden-Turnus, von denen oft mehrere Camps nacheinander betroffen sind und bei denen Zelte, Schutzplanen und andere persönliche Ggenstände beschlagnahmt werden, finden weiterhin statt. Da ihre Zahl in diesem Jahr nicht systematisch dokumentiert wird, kann sie nur geschätzt werden. Wie in den Vorjahren, dürfte sie bei etwa tausend oder sogar darüber liegen. Auch während der Regenperiode fanden mindestens an zwei Tagen Räumungen statt: am 5. und 7. November.
Was dies für die Menschen in Old Lidl bedeutet, beschreibt Julia Druelle in ihrer Reportage:
„Mohamed, ein Mann in den Fünfzigern, versucht sich an einem Lagerfeuer zu wärmen, das unter einem Schutzdach entzündet wurde, welches zwischen Zweigen gespannt ist. ‚Ich habe kein einziges trockenes Kleidungsstück mehr. Ich habe das Gefühl, jede Würde verloren zu haben‘, sagt er und beeilt sich, einen heißen Tee zu servieren, der direkt am Feuer zubereitet wurde […]. Ihm gegenüber steht Ibrahim, der seine Füße zu den Flammen streckt. Er kommt ebenfalls aus dem Sudan und berichtet, wie schwierig es aufgrund der Wetterbedingungen ist, an die von den Organisationen organisierten Lebensmittelverteilungen zu gelangen, und gibt zu, dass er oft Hunger verspürt. Der 15-jährige Nour, der nur wenige Schritte entfernt lebt, ist erschöpft von den Räumungen, die die Polizei alle 48 Stunden durchführt. Obwohl er minderjährig ist, ist er allein im Camp. ‚Die Polizei nimmt unsere Zelte und zerreißt die Planen. Das letzte Mal habe ich einen Polizisten gefragt, warum er das tut. Er hat mir geantwortet, dass er ‚seinen Job‘ mache‘.“