[Updated, 2. Juni] In der Nacht zum 31. Mai 2025 erreichten 1.195 Menschen britisches Hoheitsgebiet. Es ist die größte Zahl an Channel migrants seit Ende 2022. Glücklicherweise verlief die Nacht ohne weitere tödliche Vorfälle, wenngleich es zu mehreren Rettungseinsätzen kam.
In der knapp siebenjährigen Geschichte der maritimen Kanalroute kam es an nur neun Tagen vor, dass mehr als 1.000 Personen übersetzten. Ein Blick auf diese neun Tage gibt ein gutes Abbild der Entwicklung, die diese Route seither durchlaufen hat.
Bislang entfielen alle Tage mit mehr als 1.000 Passagier_innen auf die Spätsommer- und vor allem die Herbstmonate, im Rest des Jahres kamen derart hohe Passagierzahlen noch nie vor. Die beiden ersten Tage mit über 1.000 Ankünften per Boot waren der 11. und 16. November 2021, als 1.250 Menschen in 36 Booten bzw. 1.168 in 33 Booten übersetzten. Die übrigen Tage entfallen auf das Jahr 2022, und zwar auf die Monate August (23.8.: 1.137 Personen), September (3.9.: 1.305 Personen, 22.9.: 1.142 Personen), Oktober (9.10.: 1.241 Personen, 29.10.: 1.131 Personen) und November (12.11.: 1.214 Personen). Der 3. September 2022 markiert bis heute das Maximum. Bereits 2022 sank die Zahl der dabei eingesetzten Boote von über 33 bzw. 36 im Vorjahr auf 22 bis 27.
In den Jahren 2023 und 2024 wurden an keinem einzigen Tag mehr als 1.000 Ankünfte registriert. Auch in diesem Jahr war dies zunächst nicht der Fall; der bislang am stärksten frequentierte Tag war der 21. Mai, als 825 Menschen in 13 Booten nach Großbritannien gelangten; dabei starben eine Mutter und ihre Tochter (siehe hier). Die 1.195 Passagier_innen vom 31. Mai befanden sich auf 19 Booten. Im Durchschnitt trug jedes Boot 63 Personen und war damit stark überladen – fast eine Verdopplung gegenüber 2021. [Zunächst hatten die britischen Behörden 1.194 Personen und 18 Boote registriert, was eine Durchschnittszahl von 66 Personen pro Boot ergeben hätte.] Beides – der Zeitpunkt so früh im Jahr und die immer geringere Anzahl der Boote – sind angesichts der in rascher Folge dokumentierten Todesfälle kein gutes Vorzeichen für die Sommer- und Herbstmonate.
Die große Zahl der Überfahrten am 31. Mai erklärt sich in erster Linie aus der Wettersituation. Denn seit dem 21. Mai hatte nur ein einziges Boot übergesetzt, und zwar am 23. Mai. Wie InfoMigrants berichtet, sammelten sich die Menschen während der Schlechtwetterphase in den Camps bei Loon-Plage, wo eine angespannte Situation entstand. Der aktuelle Höchstwert ist aber auch Ausdruck eines allgemeinen Trends, denn in diesem Jahr ist die Zahl der Überfahrten höher als je zuvor (siehe hier). Seit Jahresbeginn haben bereits 14.812 Menschen Großbritannien auf diese riskante Weise erreicht (Stand: 1. Juni incl. revidierter Daten vom 2. Juni).
Dass es mit dem Wiedereinsetzen der Überfahrten nicht erneut zu tödlichen Situationen kam, dürfte schlicht Zufall sein. Jedenfalls meldet die französische Seepräfektur (Premar) für die Nacht des 30./31. Mai mehrere Rettungseinsätze: Zunächst geriet ein Boot kurz nach der Abfahrt bei Fort-Mahon nördlich der Somme-Bucht in Schwieirigkeiten. 78 Menschen wurden von den französischen Rettungskräften geborgen; einige von ihnen hatten die Rettung zunächst abgelehnt, um die Weiterfahrt zu versuchen, dann aber doch aufgegeben. Bei einem anderen Einsatz, der zeitgleich in der Nähe von Wimereux nördlich von Boulogne-sur-Mer stattfand, nahmen Rettungskräfte 61 Menschen an Bord, deren Bootsmotor versagt hatte; danach überwachte dasselbe französische Rettungsschiff zwei weitere Schlauchboote, die jedoch keine Hilfe anforderten. Zwei weitere Rettungseinsätz folgen ab dem frühen Morgen zwischen Dunkerque und Calais, dabei wurden 9 bzw. 36 Menschen gerettet. Insgesamt wurden 184 Menschen auf das französische Festland gebracht.
In Großbritannien wiederholte Verteidigungsminister John Healey die Forderung an Frankreich, die Einsatzroutinen der Ordnungskräfte so abzuändern, dass „sie die Schmuggler abfangen und die Menschen in den Booten und nicht nur an der Küste aufhalten können“ (zit. n. BBC). Großbritannien drängt seit einigen Monaten auf eine solche Ausweitung der Einsätze vom Strand in die Küstengewässer. Die in Nordfrankreich aktiven NGOs warnen, dass die ohnehin hohen Risiken zu Beginn der Bootspassagen dadurch noch größer würden.