Südlich von Boulogne-sur-Mer filmte die BBC am 4. Juli 2025, wie französischen Gendarmen ein schwimmendes Schlauchboot aufstachen. Bereits im Juni hatte Utopia 56 eine vergleichbare Situation in einem anderen Küstenabschnitt dokumentiert (siehe hier). Das aktive Stoppen von Booten, die sich bereits im Wasser befinden, ist illegal. Wenige Tage vor dem Besuch Emanuel Macrons bei Keir Starmer deutet dessen Sprecher den BBC-Bericht als Anzeichen dafür, dass Frankreich eine solche Praxis schon bald legalisieren könnte.
Die BBC-Aufnahmen entstanden lokalen Medien zufolge am Morgen des 4. Juni am Strand von Saint-Étienne-au-Mont südlich von Boulogne-sur-Mer. Die Filmaufnahmen zeigen, wie ein sogenanntes Taxiboot Geflüchtete an Bord nimmt. Ein Team von Gendarmen watet ins Wasser. An zwei Stellen stechen sie das Boot auf, das daraufhin beidseitig Luft verliert und instabil wird. Die Menschen an Bord verlieren den Halt, es kommt zu einem Gedränge, letztlich gelangen alle an den wenige Meter entfernten Strand. Nun durchschneiden die Gendarmen den Rumpf des leeren Bootes an mehreren anderen Stellen und ziehen es an Land. BBC-Reporter Andrew Harding beschreibt das Geschehen aus unmittelbarer Nähe, selbst im Wasser stehend.
Harding beschreibt in einem zugehörigen Artikel detailliert, was er beobachtet hat: Kurz zuvor sei ein anderes, bereits voll besetztes Taxiboot vorbeigefahren. Aus den Dünen seien etwa 80 bis 100 Menschen in Schwimmwesten zum Strand gerannt, doch habe das Boot niemanden mehr an Bord genommen. Etwas später sei dann das zweite Boot mit nur wenigen Personen in Strandnähe gekommen. Die dort befindlichen Menschen seien, offenbar von Schleusern, in zwei Gruppen zu dem Boot geleitet worden, wo ein Gedränge entstand, „als Dutzende von Menschen in dem mindestens hüfttiefen Wasser an Bord kletterten“.
Die Gendarmerie habe das Geschehen zunächst nur beobachtet und auf die Einsatzregeln verwiesen, die ein Eingreifen im Wasser untersagen, sofern es nicht der Rettung von Menschen dient. Dass sie schließlich doch eingriffen und das Boot zerstachen, erklärt der Reporter mit der chaotischer werdenden Situation sowie der Gelegenheit für die Beamten, „das Boot in relativer Sicherheit außer Gefecht zu setzen, während etwaige Schmuggler – die sich möglicherweise gewehrt hätten – durch das versuchte Neustarten des Motors abgelenkt waren.“ Harding sagt auch, dass das aufgestochene Boot „in chaotischen Szenen kollabierte“ und erwähnt ein Mädchen, das mitten im Gedränge eingeklemmt wurde. Letztlich lässt der Bericht offen, ob die Gendarmen tatsächlich versuchten, Menschenleben zu retten, oder ob sie lediglich einen Vorwand brauchten, um das Boot zu stoppen.
Der Einsatz steht im Kontext der seit Februar anhaltenden Diskussion um eine mögliche Änderung der französischen Einsatzrichtlinien, die ein Aufbringen der Schlauchboote in einem Streifen von 300 Metern entlang der Küste erlauben soll. Der im Juni dokumentierten Einsatzes bei Gravelines nährte den Verdacht, dass dies möglicherweise bereits informell getestet wird.
Mit Blick auf den BBC-Bericht dementierten die französischen Behörden, dass bereits so gehandelt werde: „Gegenüber der BBC wurde jedoch klargestellt, dass die Polizei keine neue Taktik im Umgang mit small boats eingeführt hat, dass die Vorschriften, die ein Eingreifen auf dem Wasser verbieten, weiterhin gelten und dass die Beamten weiterhin der Sicherheit an den Stränden Vorrang einräumen müssen. Sie dürfen jedoch eingreifen, wenn sie glauben, dass Leben in unmittelbarer Gefahr sind.“ Das gewaltsame Stoppen von Booten nach dem Anlagen ist demnach weiterhin illegal, außer zur Rettung von Menschenleben.
Dessen ungeachtet begrüßte ein Sprecher von Premierminister Starmer das von BBC dokumentierte Vorgehen der Gendarmen wie einen Durchbruch: Dies sei „ein bedeutender Moment und wir begrüßen diese Aktion.“ Man wolle, „dass härter durchgegriffen wird. Das sei „genau der Fokus unserer Arbeit“ und das „Ergebnis der engen Zusammenarbeit“.
In London scheint man also davon auszugehen, dass die französischen Behörden bald aktiv gegen Boote auf See vorgehen werden. Ob es allerdings so geschehen wird, wie von der BBC gefilmt, steht nach Ansicht des Senders nicht fest: „Aus gut unterrichteten Kreisen in Frankreich ist zu erfahren, dass sich die jetzt in Erwägung gezogenen Verfahrensänderungen mit ziemlicher Sicherheit auf den Einsatz von Patrouillenbooten auf See konzentrieren werden, um die ‚Taxiboote‘ abzufangen, bevor sie voll beladen sind, und nicht auf das Erlauben eines aggressiveren Eingreifens der Polizei an den Stränden.“
Näheres dürfte nach den bevorstehenden Gesprächen der Regierungsschefs zu erfahren sein.