Das neue britisch-französische Abkommen: Die erste Woche.
Eine Woche nach dem Inkrafttreten der bilateralen Vereinbarung (siehe hier), die Großbritennien erstmals seit dem Brexit Abschiebungen nach Frankreich ermöglicht, ist nur wenig über die Umsetzung bekannt. Die britische Regierung meldete die Festnahme erster Bootspassagier_innen und schaltete ein Formular für legalen Einreise aus Frankreich frei. Gleichzeitig bereiten zivilgesellschaftliche Akteure die juristische Anfechtung der Abschiebungen vor. Ein Effekt auf die Zahl der Bootspassagen bleibt erwartungsgemäß aus.
„Mehrere Dutzend Migranten wurden festgenommen und könnten innerhalb weniger Wochen nach Frankreich zurückgeschickt werden“, meldete BBC am 7. August unter Berufung auf eine Regierungsquelle. Über die genaue Zahl der Festnahmen konnte der Sender nichts in Erfahrung bringen, lediglich von „mehr als fünf Nationalitäten“ war die Rede: „Das Innenministerium hat auch bearbeitetes Filmmaterial veröffentlicht, das zeigen soll, wie die Teams von Border Force und Immigration Enforcement die neue Regelung umsetzen. Das Material zeigt einige der Festgenommenen, die in den letzten 24 Stunden die ersten Phasen des Pilotverfahrens durchlaufen haben, einschließlich ihrer Erstbehandlung, ihrer biometrischen und Sicherheitskontrollen und ihrer Verlegung in ein Abschiebezentrum für Einwanderer, wo sie auf ihre Rückkehr nach Frankreich warten. Unabhängige Journalisten waren nicht eingeladen, bei den Dreharbeiten anwesend zu sein.“
In der Tat lassen die am 7. und 8. August geposteten Videos des Innenministeriums wenig Rückschlüsse auf den Umfang der Festnahmen zu. Einer der Filme zeigt sogar nur einige wenige Männer, die mit einem Transporter zu einer Halle gebracht werden.
Aus einer ebenfalls am 7. August veröffentlichten Erklärung des Innenministeriums geht hervor, dass die ersten Festnahmen um die Mittagszeit des 6. August stattfanden, offenbar in Dover. Großbritannien werde innerhalb von „drei Tagen“ ein Überstellungsersuchen an Frankreich richten, auf das die französischen Behörden „voraussichtlich innerhalb von 14 Tagen reagieren“. Dies entspricht der im Abkommen vorgesehenen Frist. Weiter heißt es, die Festgenommenen würden „über das Verfahren zu ihrer Rückführung nach Frankreich informiert“.
Gleichzeitig kündigte das Ministerium eine „eindringliche“ Informationskampagne an, die sich an „Migranten in Nordfrankreich und darüber hinaus“ richten und sie über das neue britisch-französische Abkommen informieren soll. Sie solle Migrant_innen davor warnen, durch eine Überfahrt „ihr Geld oder ihr Leben zu riskieren“. Ähnliche Social-Media-Kampagne begleiten seit Jahren jedes migrationspolitische Großvorhaben der Londoner Regierung gegen die Migration auf der Kanalroute.
Ebenfalls am 7. August sei, so das Innenministerum weiter, das reziproke Verfahren gestartet, bei dem Großbritannien sich bereit erklärt, für jeden nach Frankreich Abgeschoben eine andere Person aus Frankreich aufzunehmen, sofern diese nicht mit einer Bootspassage in Verbindung gebracht werden kann und weitere Kriterien erfüllt. Interessierte müssen hierfür online ihr Interesse bekunden: „Die Bewerber müssen die Zulassungs- und Eignungskriterien erfüllen und unter anderem einen Reisepass oder andere Identitätsdokumente sowie ein aktuelles Foto hochladen. Diejenigen, die ausgewählt werden, müssen weitere strenge Sicherheitsprüfungen und biometrische Kontrollen durchlaufen, was bedeutet, dass nur diejenigen Personen, die von der britischen Regierung zur Einreise zugelassen wurden, über die neue Route einreisen dürfen“, heißt es in derselben Erklärung des Innenministeriums.
Das Online-Formular ist momentan einsehbar, konnte von uns aber nicht vollständig getestet werden. Es trägt den Titel UK/European applicant transfer scheme, was die Möglichkeit einer späteren Ausweitung auf die EU zumindest suggeriert. Dennoch richtet es sich ausschließlich an Menschen, die sich in Frankreich aufhalten. Im zugehörigen Leitfaden werden Interessierte aufgefordert, ihre Anwesenheit in dem Land mithilfe ihres Smartphones nachzuweisen: „Sobald Sie […] Ihren Antrag auf Interessenbekundung eingereicht haben, erhalten Sie jeweils eine E-Mail und eine SMS mit Anweisungen, wie Sie nachweisen können, dass Sie sich in Frankreich befinden. Sie haben dann 24 Stunden Zeit, um auf diese Nachricht zu antworten.“ Der Leitfaden enthält Hinweise für die Antragstellung von Einzelpersonen und Familien, über hochzuladende Dokumente sowie die Abfrage von Daten im Vorgriff auf eine Sicherheitsüberprüfung. Wie das Portal Free Movement kritisch bemerkt, wird kein Zeitrahmen für die Bearbeitung genannt, jedoch auf eine längere Dauer vorbereit.
Dies könnte eine Situation erzeugen, in der Abschiebungen nach Frankreich rascher umgesetzt werden als die reziproken Einreisen nach Großbritannien, mit anderen Worten: dass zumindest in den kommenden Wochen und Monaten mehr Personen abgeschoben werden als einreisen dürfen. Frankreich könnte dann unter Verweis auf die im Abkommen festgeschriebene Reziprozität motiviert (und berechtigt) sein, die Zahl der Rückübernahmen (und damit der Abschiebungen) zu drosseln, was das gesamte Vorhaben ausbremsen würde.
Zusätzlich stehen den Festgenommen rechtliche Möglichkeiten offen, während zivilgesellschaftliche Akteure juristisch gegen das aus ihrer Sicht infame one-in one-out-Prinzip vorgehen wollen. Die in früheren Fällen bereits erfolgreiche NGO Care4Calais teilte nach den ersten Festnahmen mit, sie sei „bereits mit juristischen Teams im Gespräch, um sicherzustellen, dass niemandem das Recht auf Zuflucht verweigert wird. Gleichzeitig baut unser Legal Access Department ein Team von Fallbetreuern auf, um die Inhaftierten zu unterstützen.“
Einen sichtbaren Effekt auf die Zahl der Bootspassagen hat das neue Verfahren bislang nicht, und angesichts des im Vergleich zur Gesamtzahl eher geringen Umfang der geplanten Abschiebungen (angestrebt werden 50 pro Monat) wäre dies auch kaum zu erwarten. Vielmehr setzten, typisch für die Jahreszeit, zahlreiche Boote über: Am 6. August, dem Tag des Inkrafftretens des Abkommens und der ersten Festnahmen, waren es 155 Personen bzw. zwei Boote; bis zum gestrigen 12. August stieg die Zahl auf 2.038 Menschen bzw. 33 Boote. Seit Jahresbeginn waren es nach Angaben der britischen Behörden 27.474 Personen und 464 Boote. Nach wie vor ist 2025 das Jahr mit den bislang meisten Bootspassagen auf der Kanalroute.