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Channel crossings & UK

„Einer raus, einer rein“

Ein neues britisch-französisches Abkommen ermöglicht die Abschiebung von Bootsflüchtlingen. Eine Inhaltsangabe.

Nach einem jahrelangen politischen Tauziehen trat am 6. August 2025 ein britisch-französisches Abkommen in Kraft, das Abschiebungen einer begrenzten Zahl von Bootsflüchtlingen aus Großbritannien nach Frankreich ermöglichen soll. Gleichzeitig soll dieselbe Zahl in Frankreich lebender Migrant_innen ein Visum für Großbritannien erhalten – ausgenommen alle, die mit einer Bootspassage in Verbindung gebracht werden können. Dieses sogenannte One-in one-out-Modell zielt politisch nicht nur darauf ab, Bootsflüchtlinge durch die Aussicht auf Inhaftierung und Abschiebung abschrecken, sondern ebnet den Weg zur Integration des Vereinigten Königsreichs in das Migrationsregime der EU. Bis dahin bleibt es jedoch ein zeitlich befristeter Testballon, von dem nur ein Bruchteil der Channal migrants betroffen sein wird.

Das von den Innenminister_innen beider Staaten unterzeichnete Abkommen folgt auf eine gemeinsame Erklärung der beiden Regierungschefs vom 10. Juli, worin die nun in Kraft tretenden Regelungen offiziell angekündigt wurden – verbunden mit der Festlegung auf eine hochriskante Strategie zum Aufbringen der Boote in einem 300 Meter breiten Streifen der französischen Küstengewässer. Französische Medien, NGOs und einige Bürgermeister der betroffenen Kanalküste äußerten die begründete Befürchtung, dass eine solche Praxis das Risiko für die Geflüchteten erhöhen wird. Nichtsdestotrotz trägt das am 29. Juli in London und am 30. Juli in Paris unterzeichnete und am 5. Augtust veröffentlichte Abkommen den Titel Agreement […] on the Prevention of Dangerous Journeys. In Kraft ist es seit dem 6. August. Es gilt für weniger als ein Jahr und läuft am 11. Juni 2026 aus, sofern es nicht verlängert wird (Art. 22).

Zum Monitoring des Vorhabens, und zwar insbesondere des Zahlenverhältnisses zwischen Abschiebungen nach Frankreich und Aufnahmen in Großbritannien, wird ein Joint Committee eingesetzt. Vertreter_innen der Europäischen Kommission und von Mitgliedsstaaten der EU können ihm mit Beobachterstatus angehören (Art. 17). Damit könnten beispielsweise auch Deutschand, die Niederlande oder Belgien als Teilnehmer der sogenannten Calais Group in das primär bilaterale System eingebunden werden.

In diesem Zusammenhang vereinbaren beide Staaten einen monatlichen Review-Prozess ein, der im September beginnen soll. Dabei sollen, so das Abkommen, statistische Daten zur Herkunft der Migrant_innen, zum Anteil der Asylbeantragungen in der EU und zu den genutzten Routen in Richtung Ärmelkanal bewertet werden. Die Ergebnisse des Prozesses einschließlich der statistischen Daten sollen der EU-Kommission übermittelt werden.

Regelungen für die Abschiebung nach Frankreich

Im Kern sieht das Abkommen vor, dass Personen, die durch „eine gefährliche Reise mit Small Boats“ nach Großbritannien gelangen, „so effizient wie möglich“ nach Frankreich zurückgeführt und dort zurückgenommen werden. Beide Staaten verpflichten sich auf die Entwicklung (!) eines Verfahrens von maximal drei Monaten Dauer zwischen der Ankunft in Großbritannien und dem Transfer nach Frankreich (Art. 1.1).

Gelten soll dies für alle Personen, die nach einer Überfahrt per Schlauchboot einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, die im Zusammenhang mit einer Bootspassage durch britische Behörden festgenommen werden oder nach einer Such- und Rettungsaktion im britischen Hoheitsgebiet ausgeschifft wird. (Art. 3)

Die Rückübernahme der betroffenen Menschen soll auf Antrag Großbritanniens erfolgen (Art. 4.1). Großbritannien muss dabei in jedem Einzelfall nachweisen,

  • dass es sich um Angehörige eines Drittstaats außerhalb der EU handelt,
  • dass die Person zum Zeitpunkt der geplanten Abschiebung nicht minderjährig ist und dies durch eine befugte britische Stelle festgestellt wurde,
  • dass die Person „unmittelbar nach“ einem Aufenthalt in Frankreich (oder einer Durchreise) in Großbritannien eingereist ist,
  • dass die Person zum Zeitpunkt ihrer geplanten Abschiebung keinen Schutzantrag gestellt hat oder „deren Schutzantrag gemäß den innerstaatlichen Rechtsvorschriften des Vereinigten Königreichs für unzulässig erklärt wurde“,
  • dass die Person keine Menschenrechtsklage eingereicht hat oder diese als eindeutig unbegründet eingestuft wurde,
  • dass die Person zum Zeitpunkt der Abschiebung keine aufschiebenden Rechtsbehelfe eingelegt hat und
  • dass keine einstweilige Verfügung oder gerichtliche Anordnung gegen die Abschiebung besteht.

Ausdrücklich ausgenommen von der Regelung sind unbegleitete Minderjährige. Außerdem gilt die Verpflichtung Frankreichs zur Rüchnahme „nicht für den Zeitraum, in dem die Zahl der […] tatsächlich rückübergenommenen Personen nicht mit der Zahl der […] tatsächlich aufgenommenen Personen ausgeglichen ist“ (Art 4.2).

Als Anhang des Abkommens findet sich eine Liste möglicher Dokumente und Daten, die als Nachweis für eine Einreise per Schlauchboot herangezogen werden könnten. Genannt werden Reisedokumente, Einkaufsquittungen und andere Daten, aus denen sich der Migrationsweg, der Aufenthalt in Frankreich sowie die Bootspassage erschließen lassen, darunter auch Aufzeichnungen und Berichte über Such- und Rettungsaktionen.

Sowohl Großbritannien als auch Frankreich verpflichten sich zu Sicherheitsüberprüfungen der Personen, die für die Abschiebung vorgesehen sind. Je nach Ergebnis kann Frankreich die Rücknahme der Person verweigern. (Art. 4.3f)

Großbritannien muss den Antrag auf Rückführung innerhalb von 14 Kalendertagen nach der Ankunft der betroffenen Person bei der zuständigen französischen Behörde einreichen, die dann innerhalb von maximal 14 (in Aufnahmefällen 28) Kalendertagen zustimmen muss. „Erhält das Vereinigte Königreich innerhalb von 28 Tagen keine Antwort, so gilt die Antwort der französischen Behörden als ablehnend.“ (Art. 8)

Das Abkommen skizziert nicht zuletzt die Modalitäten des Transfers nach Frankreich. Demnach werden die Betroffenen „auf dem Luftweg“ angeschoben, wofür auch private Unternehmen eingesetzt werden dürfen (Art. 9). Die Kosten der Abschiebung trägt Großbritannien (Art. 11).

Regelungen für die legale Einreise einer anderen Person aus Frankreich

Zweiter Kernpunkt des Abkommens ist die legale Aufnahme „freiwilliger Personen“ durch Großbritannien, deren Anzahl derjenigen der Abgeschobenen entsprechen soll. Um dieses Verhältnis zu waren, sollen die Zahlen „während der Laufzeit des Abkommens regelmäßig ausgeglichen werden.“ (Art 1.2f)

Die Regelungen unterstreichen die Absicht, alle von diesem legalen und sicheren Weg auszuschließen, die bereits per Boot eingereist sind oder eine solche Einreise versucht haben. Die Zahl der Abschiebung der Einen stellt, so die Logik des Abkommens, die Obergrenze für die Aufnahme der Anderen her. Doch scheint auf diese Weise nicht wirklich ein neuer legaler Migrationspfad nach Großbritannien zu entstehen, vielmehr verweist das Abkommen lediglich auf die Möglichkeiten des bestehenden britischen Migrationsrechts (Art. 1.2).

Voraussetzungen für diese Personengruppe ist der Aufenthalt im französischen Hoheitsgebiet. Das Abkommen legt die Kriterien für und die Entscheidung über eine mögliche Einreise vollständig in die Hände der britischen Behörden. Darüber hinaus ermöglicht es beiden Staaten, weitere Einschränkungen vorzunehmen (Art. 12.2). Großbritannien behält sich vor, „die Route [zu] öffnen und [zu] schließen, wenn es dies für notwendig erachtet“, und zwar insbesondere, wenn die Zahl der Aufzunehmenden nicht mit derjenigen der Abgeschobenen übereinstimmt (Art. 12.5 und 12.7).

Im Gegensatz zu den Abschiebungen nach Frankreich enthält das Abkommen nur ungenaue Aussagen darüber, welche Kriterien Menschen für die legale Aufnahme qualifizieren und wie das Verfahren abgewickelt werden soll. In knapper Form werden lediglich Ausschlusskriterien benannt: Demnach „schließt diese Route Personen aus, die ein Risiko für die nationale Sicherheit oder die öffentliche Ordnung des Vereinigten Königreichs darstellen; Personen, die zuvor aus dem Vereinigten Königreich ausgewiesen wurden; sowie unbegleitete Minderjährige.“ (Art. 12.6) Regelungen über den Transfer werden, abgesehen von der Kostenübernahme durch Großbritannien, nicht getroffen (Art. 15).

Das Abkommen als Testballon

Hieraus ergibt sich dreierlei: Erstens beschreibt das Abkommen alles andere als ein etabliertes verfahren, sondern den Beginn eines zeitlich befristeten Projekts. Zweitens liegt der Fokus weniger auf der Erleichterung legaler Migration, sondern den Abschiebungen nach Frankreich, für die es seit dem Austritt Großbritanniens aus der EU keinen Rechtsrahmen mehr gab. Drittens folgt das Abkommen in erster Linie den migrationspolitischen Interessen der britischen Regierung und hält den Aufwand für Frankreich so gering wie möglich, ist dabei aber passgenau auf EU-Recht zugeschnitten. Die Einbindung der EU-Kommission und interessierter EU-Staaten ermöglicht eine stärkere Einbindung in das Migrationsregime der EU und die Absprachen im Rahmen der Calais Group. Die Orientierung am EU-Türkei-Deal von 2016 ist offensichtlich.

Das Abkommen trifft keine Aussage darüber, auf wie viele Menschen es angewandt werden soll. Nach der Ankünidung im Juli berichteten britische Medien, dass die Regierung etwa 50 Menschen im Monat abschieben wolle. Die Lektüre des Abkommens zeigt, welche umfassenden bürokratischen Arbeiten die Behörden beider Staaten in einer Frist von jeweils nur 14 und insgesamt nur 28 Tagen erbringen müssen, um eine Abschiebung in die Wege zu leiten. Gelingt es den Betroffenen zudem, einen Rechtstitel gegen die Abschiebung zu erwirken, greift das Abkommen nicht mehr. Zum Vergleich: Seit Jahresbeginn registrierten die britischen Behörden die Ankunft von 25.436 Geflüchteten (Stand: 5. August), davon 3.746 Personen zwischen der Ankündigung des Abkommens am 10. Juli und seiner Unterzeichnung am 30. Juli.

Das Abkommen kann als Testballon aufgefasst werden, der bei einer Verlängerung über den Juni 2026 hinaus auf andere Bereiche der undokumentierten Migration ausgeweitet werden könnte. Ausdrücklich wird die „Anwendung auf Personen […], die mit anderen Mitteln als small boats einreisen“, als ein künftiges Thema benannt. Konkrete Schritte hierzu sollen allerdings während der (ersten) Laufzeit bis Juni 2026 nicht unternommen werden (Art. 20).

Für die potenziell Betroffenen dürfte das Abkommen zusätzliche Ängste und Stress vor und nach ihrer Ankunft bedeuten, auch wenn die Wahrscheinlichkeit einer Abschiebung statistisch gering ist. Auch die Ankunft selbst dürfte sich verändern: Mündete sie bislang in der Unterbringung, kann sie nun zu einer Inhaftierung führen. Wie, in welchem Umfang und mit welchen Folgen dies konkret geschieht, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Offen ist zudem, ob das Verfahren überhaupt reibungslos etabliert werden kann. Erste Ankündigungen britischer NGOs, es juristisch anzufechten, wurden bereits öffentlich. Solche Interventionen waren in der Vergangenheit durchaus erfolgreich.