Im Rahmen des im Juli vereinbarten „One in, One out“- Abkommen sollten am Montag, 15.09.2025, erstmals Menschen, die in „kleinen Booten“ über den Ärmelkanal von Frankreich nach Großbritannien kommen abgeschoben werden. Nur einen Tag nach der rechtsextremen Großdemonstration mit über 100.000 Teilnehmenden in London stoppten Gerichte die ersten geplanten Deportationen.
Das im Juli vereinbarte „One in, One out“- Abkommen, hat zum Ziel die als illegal bezeichneten Überfahrten über den Ärmelkanal einzudämmen. Im Rahmen dieses Abkommens sollten nun ab dem 15. September 2025 erstmals Menschen, die in kleinen Booten von Frankreich nach Großbritannien gelangen, abgeschoben werden. Gleichzeitig soll dieselbe Anzahl von Exilierten, die bereits in Frankreich leben, ein Visum für Großbritannien erhalten. Ausgenommen sind jedoch alle Menschen, die mit einer Bootspassage in Verbindung gebracht werden können (eine ausführliche Erklärung findet ihr hier).
Das Abkommen wird vom britischen Premierminister Keir Starmer als Instrument präsentiert, um die Zahl der Überfahrten zu reduzieren. Es ist auch im Kontext einer zunehmend aggressiven migrationsfeindlichen Rhetorik, rassistischer Hetze und gezielter Desinformation zu verstehen, die in den vergangenen Wochen unter anderem von Reform-UK-Chef Nigel Farage und dem Konservativen Robert Jenrick verbreitet wurden. Diese Entwicklungen treiben die systematische Dehumanisierung von Geflüchteten voran und haben ein Klima geschaffen, in dem rassistische Proteste gegen Asylunterkünfte wie in Epping und Canary Wharf ebenso möglich werden wie rechtsextreme Großdemonstrationen.
Am Sonntag, 13.09.2025, versammelten sich mehr als 110.000 Menschen in London zum sogenannten „Unite the Kingdom“-Marsch, organisiert vom rechtsextremen und mehrfach verurteilten Anti-Einwanderungsaktivisten Stephen Yaxley-Lennon alias Tommy Robinson, Gründer der islamfeindlichen „English Defense League“. Robinson erhielt dabei Zuspruch und Unterstützung von internationalen Akteuren der extremen Rechten wie dem ehemaligen Trump-Berater Steve Bannon oder Éric Zemmour. Auch der AfD-Europaabgeordnete Petr Bystron nahm an der Demonstration teil, während US-Milliardär Elon Musk sich online solidarisch zeigte. Diese internationalen Verflechtungen machen nicht nur das erschreckende und gefährliche Ausmaß rechtsextremer Netzwerke deutlich, sondern zeigen auch, wie rassistische Narrative und Falschinformationen die Fluchtbewegungen über den Ärmelkanal instrumentalisieren.
Die britische Anti-Rassismus-Organisation Hope Not Hate bezeichnete die Kundgebung als die größte rechtsextreme Demonstration in der Geschichte Großbritanniens. Dabei sei „beispiellos, dass eine so große Menschenmenge Reden bejubelt, in denen ein Verbot öffentlicher Äußerungen nichtchristlicher Religionen gefordert, die ‚Remigration‘ (…) verlangt und behauptet wird, Großbritannien werde ‚überfallen‘ und seine Bevölkerung ‚ersetzt‘“. Auch Hope Not Hate zeichnet ein alarmierendes Bild: „Für alle, die über den Aufstieg rechtsextremer Akteure und die Normalisierung von bösartigem anti-migrantischem und anti-muslimischem Denken besorgt sind, könnte dies ein Vorbote düsterer Zeiten sein.“

Juristischer und ziviler Widerstand gegen geplante Deportationen
Im Rahmen des Abkommens wurden seit Anfang August schätzungsweise 92 Menschen, die mit „kleinen Booten“ nach Frankreich gekommen sind, festgenommen, um im Rahmen des „One in, One out“-Schemas nach Frankreich abgeschoben werden zu können. Mindestens sieben von ihnen erhielten Benachrichtigungen, dass sie in den kommenden Tagen abgeschoben werden würden.
Für Montag, den 15.09.2025, waren zwei erste Abschiebeflüge angesetzt, die jedoch in letzter Sekunde ohne Betroffe abhoben. Mehrere Menschen, die im Rahmen des Abkommens als erste nach Frankreich deportiert werden sollten, versuchten durch rechtliche Schritte eine Abwendung ihrer Deportation erreichen. So konnte ein 25-jähriger eritreischer Mann seine für Mittwoch, 17.09.2025 vorgesehene Abschiebung nach Frankreich in letzter Minute am High Court stoppen. In der ersten Anfechtung des Abkommens vor dem High Court argumentierten die Anwälte des eritreischen Mannes, dass mehr Zeit benötigt werde, um Beweise vorzulegen, dass er Opfer von moderner Sklaverei geworden sei. Im Fall des Mannes stellte das Gericht fest, dass seine Angaben zu Menschenhandel weiter geprüft werden müssen, bevor eine Abschiebung zulässig ist. Somit konnte die Deportation vorerst gestoppt werden. Der Guardian berichtet in einem zweiten Fall, von einer erfolglosen Klage einer anderen Person, die am Montag fliegen sollte, auch wenn der letztendlich Flug annulliert wurde.
Schon vor der Entscheidung des Obersten Gerichtshof am Dienstag, gab es mit der Annullierung von für Montag und Dienstag geplanten Flügen Zweifel zur Umsetzung des Abkommens, vor allem auf französischer Seite. Die Frage der Schutzbedürftigkeit von Menschen könnte ein Grund sein für Unsicherheiten, denn gemäß des Abkommens (Art. 4.1) muss Großbritannien Frankreich in einer Erklärung darüber informieren. Die annullierten Flüge werfen daher fragen auf, ob Frankreich die Menschen in solchen Fällen überhaupt aufnehmen wird.
Auch zivilgesellschaftlicher Druck könnte zur Aussetzung beigetragen haben: Nachdem bekannt wurde, dass die Fluggesellschaft Air France-KLM die Deportationen durchführen soll, wandten sich über 2.000 Menschen direkt an die Airline und forderten ihren Rückzug aus dem Abkommen.

Wie geht es weiter?
Der Fall des eritreischen Mannes ist der erste (vorsichtige) Erfolg gegen das Abkommen. Auch wenn er für den Betroffenen zunächst nur eine vorübergehende Entlastung bedeutet und eine Abschiebung weiterhin möglich bleibt, kann die Entscheidung größere Bedeutung haben, da viele der von Abschiebung bedrohten Menschen potenzielle Opfer von Menschenhandel sind.
Die britische Innenministerin Shabana Mahmood erklärte, dass „Versuche in letzter Minute, eine Abschiebung zu verhindern, nicht tolerierbar sind” und das Innenministerium gegen die Entscheidung Berufung einlegen werde. Auch werde derzeit das Gesetz gegen moderne Sklaverei „überprüft“, um sicherzustellen, dass es nicht missbraucht wird.
Während die britische Labour-Regierung, sich weigert sich weiter zu den vorerst fehlgeschlagenen Abschiebungen zu äußern, nahmen die Konservativen die Niederlage vor dem Obersten Gerichtshof am Dienstag zum Anlass, das Abkommen als gescheitert zu erklären. Es wurden zudem Forderungen nach einem Austritt aus der Europäischen Menschenrechtskonvention laut, eine Debatte, die bereits aufkam, als das Ruanda-Abkommen für rechtswidrig erklärt wurde.
Das Abkommen, als Instrument gegen Bootspassagen und als Einlösung von Keir Starmers Wahlversprechen präsentiert, heizt die anti-immigrantische und rassistische Stimmung in Großbritannien weiter an. Sollten Abschiebungen in den nächsten Wochen anlaufen, bedeutet es für Exilierte nicht nur zusätzliche mentale Belastungen, sondern zwingt sie auch auf immer längere und tödlichere Fluchtrouten.
Widerstand gegen des britisch-französischen Grenzregimes
Währenddessen finden an diesem Wochenende europaweit mehrere Protestaktionen im Rahmen der überregionalen Mobilisierung ‚f.Lotta‘ gegen die tödliche EU-Grenzpolitik statt. Am Samstag, 20.09.2025, wird am Strand von Calais eine symbolische Aktion mit 517 Paar Schuhen stattfinden, die an die Zahl der Menschen erinnert, die in den vergangenen 30 Jahren infolge der französisch-britischen Migrationspolitik an der Grenze ihr Leben verloren haben. Mit dieser Gedenkaktion werden sowohl die inhumane Grenzpolitik und ihre tödlichen Folgen als auch das ‚One in, One out‘-Abkommen verurteilt. Die Kundgebung beginnt um 15 Uhr am Deichstrand von Calais, nahe dem Leuchtturm