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Netze gegen Boote?

Bislang ist es der französischen Polizei und Gendarmerie nicht erlaubt, Schlauchboote an der Kanalküste zu stoppen, wenn diese sich bereits auf See befinden. Denn ein solches Vorgehen würde Havarien provozieren und Menschenleben gefährden. Medienberichten zufolge wollen französische Behörden nun jedoch den Einsatz von Netzen gegen Schlauchboote testen.

Vor einem knappen Jahr signalisierte das französische Regierung die Bereitschaft, britischen Forderungen nach einem aktiven Abfangen der Boote entgegenzukommen. Im Rahmen eines Gipfeltreffens beider Staatschefs im Juli 2025 konkretisierte Frankreich den Plan, in einer küstennahen Zone Schlauchboote abzufangen und die hierfür nötigen Änderungen der Einsatzrichtlinien vorzunehmen (siehe hier). Damals wurden mehrere Fälle publik, bei denen französische Ordnungskräfte im Wasser befindliche Schlauchboote aufstachen und damit gegen die geltende Einsatzdoktrin verstießen.

Bereits im Vorfeld des Gipfels hatte das Interministerielle Komitee für Migrationskontrolle (Comité interministériel de contrôle de l’immigration; CiCI) das Gereralsekretariat für Meeresangelegenheiten (Secrétariat général de la mer; SGMer) damit beauftragt, Vorschläge für eine neue Einsatzdoktrin auszuarbeiten.

Wie Le Monde am 19. November 2025 in Zusammenarbeit mit dem Investigativportal Lighthouse Reports berichtet, wollen die Behörden nun ein Verfahren testen, das, so die Zeitung, „bisher als zu gefährlich für das Leben der Passagiere“ galt. Dabei sollen die Einsatzkräfte mit Fangnetzen augestattet werden. „Die Netze sollen ein Boot neutralisieren, indem sie dessen Motorpropeller blockieren. Dazu muss das Abfangschiff das ‚Ziel‘ überholen, bevor es das Netz 10 bis 20 Meter vor ihm auswirft“, zitiert die Zeitung ein Unternehmen, das solche Netze vertreibt. Angeblich komme es dabei weder zu Kollisionen noch zu Wellen.

Das Verfahren ist nicht neu und wird bereits bei der Bekämpfung des Drogenhandels mit Schnellbooten angewandt, nicht aber in der Migrationspolitik. Eine Polizeiquelle nannte es gegenüber Le Monde „extrem schwierig” und verwies sehr wohl auf das Risiko von Kollisionen. „Der Einsatz von Taktiken, die zur Bekämpfung von Hochgeschwindigkeits-Drogenschmugglerschiffen entwickelt wurden, gegen überladene und instabile Schlauchboote voller Menschen, die Schutz suchen, ist ein von Natur aus unvorsichtiger und gefährlicher Ansatz“, reagierte Amnesty International auf das Bekanntweden des Vorhabens.

Die Meldung erinnert an Berichte über die mögliche Adaption hochriskanter Abfangmanöver, die im französischen Überseegebiet Mayotte gegen Flüchtlingsboote aus den Komoren angewandt werden – zwar ohne den Einsatz von Netzen, jedoch verbunden mit einem ähnlichen Manöver. Dabei kam es in den vergangenen Jahren mehrfach zu Todesfällen (siehe hier). Mit der Situation an der nordfranzösischen Küste vertraute NGOs kritisierten die Übernahme solcher Techniken damals scharf und betonten, dass sich ein erheblicher Teil der Todesfälle bei Bootspassagen in Küstennähe ereignet, genau in der Zone also, in der ein aktives Stoppen der Boote eingeführt werden soll.

Die Vermischung von Drogen- und Migrationspolitik hätte nicht zuletzt auch eine fatale politische Signalwirkung. Sie verstärkt ein migrantionsfeindliches Narrativ, das Geflüchtete mit Kriminellen gleichsetzt und einfordert, Formen staatlicher Gewalt, die bei schwerer Kriminalität legitim erscheinen, auch gegen Menschen einzusetzen, die lediglich ein besseres Leben in einem anderen Land suchen.

Das französische Innenministerium bestätigte den möglichen Einsatz der Netze gegenüber Le Monde nicht. Auch die nordfranzösische Grenzpolizei erklärte am 20. November gegenüber InfoMigrants, „keine Kenntnis” von einem solchen Verfahren zu haben. Dies deutet darauf hin, dass sich das Vorhaben noch nicht in einem Stadium befindet, das die Einbeziehung der potenziell beteiligten Behörden erfordert hätte.