[Mit einem Update vom 7. Februar 2022] Am heutigen 25. Januar 2022 starb in Calais erneut ein Exilierter. Bislang wurden keine Angaben über seine Identität, das Alter oder die Nationalität veröffentlicht. Bekannt ist lediglich, dass die Nationalpolizei gegen 6:45 Uhr eine leblose Person im Bereich der Calaiser Hafenautobahn entdeckte. Medienberichten zufolge konnte die Person von den Rettungskräften nicht reanimiert werden. Es wird vermutet, dass er von einem Fahrzeug erfasst wurde und infolge der Verletzungen starb. Es ist der zweite Todesfall eines Exilierten im Gebiet von Calais seit Jahresbeginn, nachdem bereits am 15. Januar ein junger Mann aus dem Sudan im Gewerbegebiet Transmarck beim Versuch, auf einen Lastwagen zu gelangen, getötet worden war (siehe hier).
Die genauen Umstände des heutigen Todesfalls sind noch nicht bekannt. Allerdings ereignete er sich in einem geographischen Kontext, der viele Todesfälle des vergangenen Jahrzehnts miteinander verbindet:
Die Hafenautobahn war vor allem in den Jahren 2015/16 Schauplatz zahlreicher Todesfälle. Meist hatten Exilierte versucht, sich in Fahrzeugen zu verstecken, die sich vor der Zufahrt zum Fährhafen stauten. Zuweilen wurde der Verkehr durch das Laufen auf die Straße oder durch Hindernisse verlangsamt, oder Menschen versuchten, von einer Brücke auf fahrende Fahrzeuge zu springen. An keinem Ort des Grenzgebiets ereigneten sich so viele tödliche Unfälle wie auf diesem nur wenige Kilometer langen Straßenabschnitt. Unmittelbar neben der Autobahn befand sich damals die international als Jungle of Calais bekannte Zelt-, Hütten- und Containersiedlung, in der zeitweise mehr als 10.000 Exilierte lebten. Nach deren Räumung im Herbst 2016 wurden mehrere neue Camps im benachbarten Industriegebiet Zone des dunes systematisch verdrängt, während früher dort befindliche Infrastrukturen für den Lastkraftverkehr in der neuen und stark gesichterten Transmarck-Zone konzentriert wurden. Heute stellt die streckenweise von Hochsicherheitszäunen gesäumte Hafenautobahn die Verbindung zwischen Transmarck und dem Fährhafen her. Aus diesem Grund kommt es seit dem Herbst 2021 wieder verstärkt zu improvisierten Blockaden. Noch am Tag vor dem Todesfall hatte es eine kurzzeitige Blockade in Form eines Baumstamms und einiger Äste gegeben. Während es nach Angaben der Präfektur im gesamten Jahr 2021 etwa 40 Blockaden gegeben hatte, sind es seit Jahresbeginn bereits mehr als ein Dutzend.
Die Zahl der dokumentierten Todesfälle im Kontext des britisch-kontinentaleuropäischen Grenzregimes steigt mit dem heutigen Opfer auf 343. Sollte sich die seit dem Herbst zu beobachtende zeitgleiche Häufung der Todesfälle sowohl auf See als auch im Frachtverkehr fortsetzen, so dürfte die momentane Phase einer der bislang schlimmsten in der Geschichte dieser europäischen Migrationsregion werden.
[Update, 7. Februar 2022:]
Inzwischen wurde bekannt, dass es sich bei dem Getöteten um einen jungen Mann namens Mohamad Abdallah Youssef aus dem Sudan handelt. Heute soll er in Calais beigesetzt werden. „‚Das ist die dritte Person, die sein Cousin an der Grenze verliert‘, sagte mir eine Mitarbeiterin einer Hilfsorganisation. Die Menschen, die sich in Calais auf der Durchreise befinden, halten es nicht mehr aus“, schrieb zu diesem Anlass der Journalist Louis Witter.