Ende Juni teilten die Human Rights Observers mit, dass sie in Calais seit Jahresbeginn bereits 907 Zwangsräumungen informeller Lebensorte von Exilierten dokumentiert haben. Allein für den Monat Mai sind 165 Räumungen belegt. Im Jahr 2021 waren es mehr als 1.200 und 2020 etwa 1.000 Räumungen, jeweils im gesamten Jahr (siehe hier und hier). Die Anzahl der Vorjahre dürfte nun also bereits im Sommer erreicht werden und es scheint beinahe, so die Menschenrechtsgruppe, als wolle die Präfektur des Pas-de-Calais „ihren Rekord aus dem Vorjahr brechen“. Im krassem Gegensatz zu diesem Aufwand steht ein fehlender Zugang zur elemtaren Ressource Wasser.
Die Situation ist nicht neu, aber bei sommerlicher Hitze besonders akut. Bereits im August und September 2021 kam es am Rand von Calais zu einer bizarren Auseinandersetzung: Ein von der Hilfsorganisation Calais Food Collective am Zugang zu einem Camps aufgestellter Trinkwassertank wurde mehrfach von der Polizei beschädigt und der Anfahrtsweg für den Transport und die Befüllung neuer Behälter durch eine Barriere aus Felsklötzen unbefahrbar gemacht (siehe hier, hier und hier). Der Tank war die einzige Trinkwasserquelle für damals etwa 600 bis 700 Menschen.
„Der Krieg um den Zugang zu Wasser für die Exilanten in Calais geht weiter.“ Mit diesen Worten berichtete das Calais Food Collective Mitte Juni 2022 über einen neuen Fall von Sabotage an Trinkwasserbehältern. „Am Samstag, den 18. Juni, stellen wir fest, dass einer unserer Tanks viermal durchlöchert wurde.“ Berichte von Augenzeug_innen lassen vermuten, dass der Behälter von Polizist_innen zerstochen wurde. Auch die Calaiser Organisation Auberge des Migrants weist auf den eklantanten Mangel an Wasser hin: „In Calais müssen viele Exilanten 1,5 Stunden laufen, um zu einer Trinkwasserstelle zu gelangen. Worauf warten die Behörden, um zu handeln?“
Es ist offensichtlich, dass Wasser als taktisches Mittel genutzt wird, um die Camps gleichsam in eine unwirtliche Umwelt einzukapseln. Die gleichzeitige Massivität und Passivität der Behörden, die sich in der absurd hohen Zahl von Räumungen einerseits und dem eklatanten Mangel an Wasser andererseits zeigt, verweist auf zwei Seiten derselben Medaille.
In Dunkerque demonstrierte am 30. Juni 2022 Médecins du Monde gegen eine vergleichbare Situation. „Seit sieben Monaten haben in Dunkerque über 400 Menschen, die in informellen Camps überleben, keinen Zugang zu Wasser“, so die Hilfsorganisation. Die Demonstrant_innen forderten von der Communauté Urbaine de Dunkerque, einen Kommunalverband der Stadt Dunkerque und ihrer Umlandgemeinden, „diese Situation zu beenden, die die Rechte und die Gesundheit von Hunderten von Menschen in der Situation des Exils verletzt.“