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Calais Solidarität

Wasser ist politisch

Durch CRS zerstörter Trinkwasserbehälter in Calais, 18. August 2021 (Foto: Calais Food Collective)

[Mit einem Update, 9. September 2021] Es kommt vor, dass ein einzelnes Detail eine komplexe Situation repräsentiert. Ein solches Detail ist ein wenige Zentimeter langer Messerschnitt durch die Wand eines Trinkwasserbehälters, den das Calais Food Collective vor einigen Tagen aufgestellt hatte.

Der Wasserbehälter wurde, so berichtet die Gruppe, von einem Angehörigen der Polizeieiheit CRS sabotiert. Der Behälter war der einzige Zugang zu Trinkwasser für rund 650 Geflüchtete (von momentan je nach Schätzung über 1.200 oder sogar über 1.500 Personen in Calais und Umgebung), die an der westlichen Stadtgrenze bzw. auf dem Gebiet der Nachbargemeinde Coquelles kampieren. Die zivilgesellschaftliche Initiative hatte den Behälter am 17. August 2021 aufgestellt, um täglich rund 2.000 Liter breitzustellen. Nur einen Tag später erfolgte der Schnitt.

Tweet des Calais Food Collective über die Sabotage des Wasserbehälters, 26.8.2021. (Quelle: Twitter)

„Wasser sollte nicht politisch sein“, forderte das Calais Food Collective nach dem Vorfall. Aber Wasser ist politisch, und es ist es insbesondere in Calais. Zugang und Nichtzugang zu Wasser und anderen existenziellen Ressourcen spielen unter den teils legalen und teils illegalen Praxen eine Schlüsselrolle, mit denen staatliche und kommunale Akteure das aus ihrer Sicht bestehende Migrationsproblem managen. Dieses Management lässt sich, um eine Formulierung unseres Mitautors Tobias Müller aufzugreifen, als repressive Elendsverwaltung beschreiben. Die Verknappung der Ressource Wasser dient dabei als ein Instrument, um die physische Anwesenheit der Exilierten im Stadtraum zu regulieren.

Diese Taktiken sind in Calais nicht neu. Seit der staatlichen Mandatierung der Organisation La vie active zur Verteilung von Nahrung und Trinkwasser und dem gleichzeitigen Verbot solcher Verteilungen durch nicht staatlich mandatierte Organisationen, das seit einem Jahr Monat für Monat verlängert wird (siehe u.a. hier, hier, hier und zuletzt hier), sind sie jedoch systematisiert und institutionalisiert worden. Humanitäre Versorgung und Nichtversorgung der über den Stadtraum verteilten Camps sind in dieser Logik politische Steuerungsinstrumente (wenngleich die Steuerungsmacht in der Praxis begrenzt bleibt): Während Ort A mit staatlichem Mandat versorgt wird, unterbindet das Verbot die Versorgung des unversorgten Ortes B durch die Zivilgesellschaft.

Als unabhängige Organisation hatte das Calais Food Collective den Trinkwasserbehälter nicht nur an einem physischen Ort aufgestellt (an jenem nämlich, an dem er dringend benötigt wurde und der insofern der richtige Ort war) – es hat ihn zugleich an einem politischen Ort platziert, der sich außerhalb diese zweifelhaften Managements befindet. Der Schnitt, der das Wasser auslaufen ließ, setzte dessen Grundgedanken lediglich in radikaliserter Form um. „Seit mehr als einem Jahr kämpfen wir darum, den Wasserbedarf an mehreren Lebensorten in Calais zu decken“, so das Calais Food Collective. Bereits zwei mal seien identische Großbehälter für Trinkwasser beschlagnahmt worden. Nun „sind wir auf einer höheren Stufe, die darin besteht, sie zu zerstören. […] Wasser sollte nicht politisch sein.“

Update, 9. September 2021:

Blockade der Wasserstelle durch Steinblöcke. (Video: Calais Food Collective)

Inzwischen ließ die Kommune die Zufahrt zur Wasserstelle durch Felsklötze blockieren, um das tägliche Nachfüllen zu verhindern – eine brachiale Methode, die bereits in ähnlichen Fällen angewandt wurde (siehe hier und hier). Gleichwohl ist die Wasserstelle weiter in Funktion: Das Calais Food Collective benutzt eine Schlauchleitung.