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Calais

Urteil im Fall Ciotkowski

Ausschnitt aus dem Video, das zur Verurteilung des CRS-Polizisten führte (Quelle: Amnesty International)

Tom Ciotkowski aus dem britischen Stratford-upon-Avon war am 31. Juli 2018 als Freiwilliger in Calais tätig, als er Opfer ein Polizeiübergriffs wurde. Zunächst selbst angeklagt, stellte sich bei seinem Strafprozess am 22. Juni 2019 heraus, dass die Anklage auf Falschaussagen von drei CRS-Beamten beruhte. Videoaufnahmen zeigten nämlich, wie er selbst von einem Polizisten über die Leitplanke einer Autobahnauffahrt gestoßen wird und auf die Fahrbahn fällt, wo gerade ein Lastwagen entlang fährt. Im vergangenen Jahr begann dann das Strafverfahren gegen die Polizisten (siehe hier), in dem das zuständige Gericht in Boulogne-sur-Mer nun sein Urteil verkündet hat: 18 Monate Haft auf Bewährung und ein zweijähriges Berufsverbot für den hauptverantwortlichen CRS-Oberbrigardier Laurent M.

Der Übergriff gegen Tom Ciotkowski wirkt im Vergleich zu Gewaltakten gegen Exilierten, bei denen Menschen immer wieder schwer verletzt werden (siehe u.a. hier, hier und hier), beinahe normal. Die hohe Aufmerksamkeit, die er in britischen und französischen Medien hervorrief, rührt vielmehr daher, dass es sich um einen der seltenen Fälle handelt, in denen Polizeiaussagen widerlegt und die Anklage gleichsam umgedreht werden konnten.

Laurent M. hatte im Verfahren gegen Ciotkowski zu Protokoll gegeben, dieser sei aggressiv und beleidigend aufgetreten, als er als Freiwilliger der britischen Organisation Help Refugees eine Räumung beobachtete. Laut Le Monde behauptete der Polizist, der Brite habe ihn wiederholt als „bitch-bastard“ beschimpft und danach körperlich bedrängt: „[…] er legte dann seine Hände auf meine Brust und stieß mich nach hinten. Ich machte eine Bewegung, um ihn wegzuschieben, er wich zurück und als die Leitplanke hinter ihm war, kippte er nach hinten, und da er mich festhielt, folgte ich ihm und kippte mit ihm. Wir landeten beide auf dem Boden und ich verhaftete ihn.“ Zwei untergebene Beamte bestätigten diese Version.

Die drei Beamten waren nun wegen Falschaussagen und M. zusätzlich wegen vorsätzlicher Gewaltanwendung im Amt angeklagt. Während das Gericht die beiden untergebenen Beamten am 2. September 2021 freisprach, ging es bei M. über das von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafmaß hinaus.

Der Fall war von Anfang an durch Amnesty International betreut worden. Katia Roux von der französischen Sektion wertete das Urteil als „wichtige Entscheidung in einem Fall, der zum Sinnbild für die Angriffe der Polizei auf Exilierte und auf Verteidiger_innen der Menschenrechte, die ihnen helfen, geworden ist.“

Ciotkowski selbst erklärte in einer am Tag des Urteils von Amnesty International veröffentlichten Mitteilung: „Es waren drei lange und anstrengende Jahre, aber ich bin froh, dass die Polizei zur Verantwortung gezogen wird. Wenn Polizeigewalt unkontrolliert und ungestraft bleibt, verrottet das ganze System von innen heraus. Es ist wichtig, dass solche Vorfälle gefilmt und ans Licht gebracht werden. Es schaudert mich bei dem Gedanken, was hätte passieren können, wenn ich und andere diesen Vorfall nicht hätten filmen können. Der Verurteilte könnte heute durchaus ich sein.“