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Dunkerque & Grande-Synthe

Zerstörung einer Distribution Area

In Loon-Plage kommt es in unregelmäßigen Abständen zur Räumung des Jungle, zuletzt am 8. August 2023. Mehrfach verschob sich damit der Standort des Camps, allerdings innerhalb eines überschaubaren Gebiets. Eine unverzichtbare Anlaufstelle für die zeitweise mehr als tausend Bewohner_innen ist die distribution area, auf der mehrere unabhängige Kollektive materielle und medizinische Hilfe bereitstellen. Am 13. September wurde dieser Platz unbrauchbar gemacht: Ein Bagger zerwühlte das Gelände großflächig. Doch so brachial das Vorgehen war, so planlos erscheint es zugleich.

Die jetzt zerstörte distribution area an der Route du Port Fluvial im März 2022. (Foto: Th. Müller)

Die distribution area war eine gut erreichbare und befahrbare Wiese zwischen der Route du Port Fluvial und einem Bahngleis, nahe der Gemeindegrenze von Loon-Plage zu Dunkerque und Grande-Synthe. Der Jungle befand sich bis Dezember 2022 in einem Areal nördlich davon, wo er an ein Hafenbecken, eine Wasserstraße und das Betriebsgelände des Logistikunternehmens SDMTf (Société Dunkerquoise de Manutention et de Transit Fluvial) grenzte. Ursprünglich hatte sich dort auch die distribution area befunden, bevor die Behörden die Zufahrt mit einer Betonbarriere versperrten (siehe hier).

Nach Räumungen entstand der Jungle mehrmals neu, zunächst auf einem weiter nördlich gelegenen Brachland, das im Mai 2023 geräumt und umgepflügt wurde, um eine erneute Nutzung unmöglich zu machen. Daher wichen die Bewohner_innen auf ein Wiesengelände südöstlich der distribution area aus, das als Empfangsplatz für fahrendes Volk (eine in Frankreich bestehende Infrastruktur für Sinti*zze und Roma*nja und andere mobile Gruppen) dient (siehe hier). Daneben bildeten sich meist kleinere Camps außerhalb des Jungles entstanden, der sich seinerseits oft über ein weitläufiges Gelände erstreckt.

Räumung des Jungle von Loon-Plage am 8. August 2023. (Foto: Hana Anane)

Zuletzt verlagerte sich der Jungle auf ein solches Gelände, das westlich an die distribution area anschloss. Wie an den vorausgegangenen Standorten, besteht auch eine von Kurden betriebene Ökonomie kleiner Imbisse und Läden, während die grundlegende Versorgung mit Wasser, elektrischem Strom, Gebrauchsgütern, hygienischen und sanitären Diensten sowie medizinischer Hilfe in den Händen zuvilgesellschaftlicher und solidarischer Organisationen liegt. Mit der Zerstörung der distribution area wurden diese Versorgungsleistungen unterbrochen und aus der unmittelbaren Nachbarschaft des Camps verdrängt. Der Jungle selbst, wo nach Angaben von Utopia 56 zu diesem Zeitpung rund 700 Personen lebten, wurde hingegen nicht abgetastet. Das Vorgehen gegen die distribution area war weder Teil einer Räumung, noch wurde er durch irgendwelche humanitären Maßnahmen der Behörden flankiert.

Hana Anane, Koordinatorin von No Border Medics, schilderte gegenüber unserem Blog das Geschehen am 13. September und an den Tagen danach. Dabei wird deutlich, dass es sich um eine brachiale, aber auch planlose Operation handelte, bei der verschiedene Akteure widersprüchlich und improvisiert handelten.

Demnach kamen am 13. September zwei Polizeiwagen und ein Bagger zu dem Gelände. Der Boden wurde großflächig aufgebrochen, sodass er nicht mehr befahrbar ist und das Equipment für die bislang dort geleistete Hilfe nicht mehr aufgebaut werden kann. Der Grund seien Beschwerden der Eisenbahn und einer nahegelegenen Fabrik über Abfälle und herumlaufende Personen gewesen.

Zerstlrung der distribution area in Loon-Plage, 13. September 2023. (Video: Utopia 56)

Die betroffenen Organisationen wichen am selben Tag auf die Stelle bei der Firma SDMTf aus. Bedienstete des Unternehmens reagierten mit Anfeindungen und massiven Drohungen, außerdem riefen die Polizei, die es den Organisationen jedoch erlaubte zu bleiben. Als es am folgenden Tag, dem 14. September, zu erneuten Anfeindungen kam, suchten Vertretet_innen der Organisationen die Unterpräfektur auf. Diese stellte untersagte nun die Nutzung des Platzes und drohte an, gegen die Organisationen vorzugehen, sollten sie dort am folgenden Tag arbeiten.

Allerdings wies sie ihnen einen anderen Platz zu, auf dem die Organisationen bereits 2022 ihre Hilfen bereitgestellt hatten, bevor er durch Betonblöcke versperrt wurde. Noch selben Abend räumten Hafenarbeiter diese Barriere beiseite. Die distribution area befindet sich also wieder dort, wo sie sich vor der Verdrängung auf das nun zerstörte Gelände bereits befunden hatte.