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Dunkerque & Grande-Synthe

Loon-Plage: Räumung und Beton

Betonsperre nach der Räumung in Loon-Plage, Dezember 2022. (Foto: Human Rights Observers)

Zum wiederholten Mal wurde am 7. Dezember 2022 der Jungle von Loon-Plage geräumt. Dabei wurden nicht nur Zelte und persönliches Eigentum der Bewohner_innen zerstört, sondern auch weitere Betonsperren errichtet. Diese machen es zivilgesellschaftlichen Organisationen unmöglich, im Fall einer Wiederbesiedlung des Geländes Trinkwasserbehälter zu unterhalten. Dabei stellt der Zugang zu Trinkwasser ein elementares Menschenrecht dar, und nicht nur dieses Recht wird in Loon-Plage verletzt.

Das Gelände an der Stadtgrenze von Dunkerque, Grande-Synthe und Loon-Plage ist ein wichtiger Ausgangspunkt für die Bootspassage nach Großbritannien. Neben vielen anderen waren auch die 31 Menschen, die am 24. November 2021 bei der bislang schlimmsten Havarie eines Schlauchbootes im Ärmelkanal starben, hier aufgebrochen. Infolge der Bootspassagen schwankt die Zahl der Bewohner_innen stark zwischen einigen hundert und annähernd tausend. In der Zeit vor der Räumung waren nach Medienbrichten mehr Menschen weitergereist als neu hinzugekommen. Durch die Räumung wurden dann etwa 350 Personen vertrieben.

Räumung des Jungle von Loon-Plage, 7. Dezember 2022. (Quelle: Human Rights Observers / Twitter)

Aus Sicht der Initiative Human Rights Observers, die seit Jahren Räumungen dokumentiert, fügt sich die aktuelle Räumung in ein etabliertes Muster; sie ist insofern „repräsentativ für die repressive und schikanöse Politik, die der französische Staat an der französisch-britischen Grenze betreibt“: „Jede Woche von Polizisten vertrieben, persönliche Sachen von Reinigungskräften im Auftrag der Präfektur zerstört, kein Zugang zu Wasser, kein Zugang zu sanitären Anlagen und kein Zugang zu Duschen: Dies sind die Bedingungen, unter denen die exilierten Menschen […] leben.“

Dabei geht es seit Langem auch um den Zugang zu Trinkwasser, der zu den international verbrieften Menschenrechten zählt. Am Ende der aktuellen Räumung wurde die Hauptzufahrt zu dem Gelände durch Betonsperren blockiert. „Infolge dieser Betonverlegung musste eine Vereinigung, die den dort lebenden Menschen den Zugang zu Wasser ermöglichte, seine Wassertanks verlegen, da es nicht möglich war, auf das Gelände zu gelangen.“ Die Human Rights Observers weisen darauf hin, dass der Staat den Bewohner_innen auch bisher „nur einen minimalen Zugang zu Wasser“ ermöglicht und zugleich „die Arbeit von Vereinen [behindert], die humanitäre Unterstützung für die Exiliete zu leisten versuchen, die unter mehr als unmenschlichen Bedingungen leben.“ (siehe hier)

Die Räumungen erfolgten im Raum Dunkerque lange Zeit nicht, wie in Calais, im Turnus von einem bis zwei Tagen, sondern mehrmals monatlich, allerdings haben sie einen erheblich größeren Umfang als in Calais. Nach gewaltsamen Vorfällen im Jungle von Loon-Plage Ende August und Anfang September wurde die Taktung jedoch enger (siehe hier). Im September erfaßte Human Rights Observers 9 und im Oktober 14 Räumungen – das Doppelte bzw. Dreifache der durchschnittlichen Zahl in den Monaten zuvor. Die Zählung für November liegt noch nicht vor. Das Onlinemedium InfoMigrants zitierte Ende November eine Freiwillige von Help for Dunkerque: „Die Polizei kommt jede Woche, normalerweise dienstags, mittwochs oder donnerstags, früh morgens. […] Sie konfiszieren die Zelte der Bewohner und drängen sie auf die Straße. Um 13 Uhr ist alles aufgelöst. Dann bildet sich das Camp fast sofort wieder neu.“

Die Lebensbedingungen in den Camps bei Dunkerque gehören zu den schlimmsten in Nordfrankreich. Auch wenn sich im Jungle von Loon-Plage eine rudimentäre Ökonomie mit Imbissen und Kleinhandel herausbilden konnte, hängt die Grundversorgung an lokalen zivilgesellschaftlichen Initiativen aus dem Umland von Dunkerque und Calais. InfoMigrants hierzu: „Auf dem Gelände gibt es weder Duschen noch Toiletten. Nur ein knappes Dutzend Wasserhähne liefern Wasser, mit dem sich die Migranten waschen, kochen oder abspülen. Ein Mangel an Hygiene, der Infektionen und dermatologische Erkrankungen begünstigt. Médecins du Monde erklärte gegenüber InfoMigrants, dass sie regelmäßig und in zunehmendem Maße infizierte Wunden und Fälle von Krätze behandelten. ‚Wir hatten diesen Sommer eine Zunahme von Harnwegsproblemen, insbesondere bei Frauen, die ihren Wasserkonsum einschränkten, um nicht auf die Toilette gehen zu müssen‘.“

Hinzu kommt das gewaltame Agieren von Schleusern, die in diesem Jahr drei Menschen das Leben kostete. Dabei kam es im Jungle von Loon-Plage zu Schusswechseln, Paniksituationen, hinrichtungsartigen Tötungen und offenbar auch zu gezielter Gewalt gegen Menschen afrikanischer Herkunft (siehe hier, hier, hier und hier). Einen wirksamen Schutz gegen solche Übergriffe erhielten die Bewohner_innen des Camps nicht. Die größere Zahl der Räumungen erhöhte ihre Prekarität statt ihre Sicherheit.

Die Lokalpresse vermute, dass es „diesmal die letzte Räumung“ gewesen sein könnte. Sie stützt ihre Annahme auf den Unterpräfekten von Dunkerque, Hervé Tourmente. Ihm zufolge möchte der Hafen wieder über das Gelände, das ihm gehört, verfügen. Außerdem bestehe „ein erhebliches Sicherheitsrisiko“, weil ein Gütergleis über das Gelände führt. Allerdings ist zu etwarten, dass sich das Camp in diesem Fall lediglich auf ein angrenzendes Areal verlagern wird. Auch der Jungle von Loon-Plage ist im vergangenen Jahr aus dieser Verdrängungstaktik hervorgegangen.