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Benelux & Deutschland

Britisch-deutscher Aktionsplan gegen irreguläre Migration

Am 10. Dezember 2024 tagt in London zum vierten Mal die Calais Group, ein 2021 ins Leben gerufenes Treffen der Innenminister_innen Frankreichs, Großbritanniens, Deutschlands, Belgiens und der Niederlande. Kurz zuvor wurde der Text eines „Gemeinsamen britisch-deutschen Aktionsplans gegen irreguläre Migration“ bekannt. Es ist die erste bilaterale Vereinbarung zwischen Großbritannien und Deutschland in Bezug auf die Kanalroute, und es scheint, als wollen beide Staaten künftig eine stärkere Rolle in der Calais Group spielen. Im Mittelpunkt stehen erwartungsgemäß die Bekämpfung von Schleusungen und die Unterbrechung der Lieferketten für Boote, aber auch allgemeine Aussagen zur Verschärfung der Migrationspolitik. Insgesamt aber bleibt der Plan vage.

Der UK-Germany Joint Action Plan on Irregular Migration – so der Titel der uns am 9. Dezember vorliegenden englischen Fassung – schreibt der Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden und Ministerien beiden Staaten eine Schlüsselrolle zu. Der Plan sei, so heißt es zu Beginn, „a new framework for our future relationship: It will deliver a strengthened partnership which will in turn deliver more secure borders and increased action against those organised crime groups who seek to undermine our respective border security.“

Diese politische Fokussierung auf internationale Schleusernetzwerke ist nicht neu, sie kennzeichnet die Migrationspolitik der Regierung Starmer und dürfte auch im Zentrum einer zu erwartenden britisch-französischen Vereinbarung stehen. Neu ist jedoch der Anspruch beider Staaten, als eine Art Motor zu fungieren: „This enhanced partnership displays our shared leadership and commitment to secure borders – as Calais Group partners and European allies“. In der Vergangenheit hatte Großbritannien vor allem auf die bilaterale Zusammenarbeit mit Frankreich gesetzt, was sicherlich weiterhin den Kern des Grenzregimes am Ärmelkanal bilden wird. Gleichwohl ist unübersehbar, dass Deutschland aus britischer Sicht nun verstärkt zum Mitakteur wird.

Vor diesem Hintergrund sei der Aktionsplan eine Antwort auf die Herausforderungen durch „irregular migration, migrant smuggling and the organised criminality behind it“. Zu diesem Zweck sollen Partner beider Staaten zusammengebracht, Barrieren einer verstärkten operativen Zusammenarbeit abgebaut und Expertise ausgetauscht werden. Nicht explizit eingegangen wird auf die Einbeziehung nachrichtendienstlicher Expertise, die Teil der britischen Grenzsicherheitspolitik ist (siehe hier).

Der Plan benennt sechs übergeordnete Ziele. An erster Stelle steht das Durchbrechen des Geschäftsmodells der in Menschenschmuggel und Schleusungen am Ärmelkanal involvierten Gruppen. Dies soll erreicht werden durch: „a. Disrupting their supply chains; b. Preventing irregular border crossings; c. Ensuring smugglers face the full extent of the law“. An dieser Stelle zeigt sich eine problematische Aufspaltung der Ziele in Kriminalitätsbekämpfung einerseits und die Verhinderung von Migration andererseits, was Migration als solche mit Kriminalität gleichsetzt und Migrationspolitik auf Strafverfolgung verengt. Noch deutlicher wird dies in weiteren Zielsetzungen: „2. Reduce irregular migratory flows into Germany, the UK, and Europe. […] 4. Increase the returns of individuals with no right to be in the UK or Germany.“ Die übrigen Zielsetzungen betreffen die bessere europäische Zusammenarbeit bei der Bekämpfung krimineller Schleusungen und die Maximierung der britisch-deutschen Zusammenarbeit mit regionalen Partnern.

Auch die Verhinderung von Todesfällen im Ärmelkanal wird als eines dieser Ziele benannt: „Prevent loss of life on migratory routes and in the Channel.“ Allerdings suggeriert die knappe und formelhafte Art, die dies geschieht, eine fatale Eindimensionalität, so als ließe sich diese Aufgabe durch die Bekämpfung krimineller Gruppen gleichsam miterledigen. Eine solche Sicht ist hoch problematisch, denn sie lässt die Rückwirkung verknappter Lieferketten und verstärkter Küstenüberwachung auf die Anzahl der Todesfälle außer Acht.

Insgesamt liest sich der Plan eher wie eine Absichtserklärung denn ein detailliert ausgearbeitetes Programm. Zwar benennt er fünf inhaltliche Bereiche, wiederholt jedoch im Wesentlichen bereits Gesagtes. Demnach geht es:

1. um die Schaffung eines langfristigen formalen Rahmens („long-term framework“) für die verstärkte Bekämpfung sowohl der irregulären Migration als auch krimineller Schleusungen;

2. um die Stärkung der operativen Fähigkeiten („operational capabilities“) der britischen und deutschen Strafverfolgungsbehörden;

3. um die Zementierung der Übereinkunft beider Staaten zur Zusammenarbeit mit regionalen und europäischen Partnern hinsichtlich der irregulären Migration;

4. um die Zusammenarbeit beider Staaten mit der EU-Polizeibehörde Europol, und zwar in Bezug auf die gesamten Lieferketten und Finanzgeschäfte bei Schleusungen („tackling the whole end-to-end routes of criminal migrant smuggling networks and the illicit finances involved in migrant smuggling“).

5. Schließlich soll beim britischen Border Security Command eine erste internationale Verbindungsstelle („first international liaison“) eingerichtet werden; dabei wird der britisch-deutschen Zusammenarbeit abermals eine Führungsrolle zugeschrieben („strengthens UK and German alignment on systems leadership and policy“).

Keiner der genannten Punkt ist mit einer konkreten Agenda oder gar, wie die britisch-französischen Vereinbarungen, mit einem Budget hinterlegt. Es geht also wohl vor allem darum, bereits etablierte Formen der Zusammenarbeit – die zuletzt am 4. Dezember eine Großrazzia mit Schwerpunkt in Deutschland vorbereiteten (siehe hier) – zu flankieren, die Calais Group als multilaterales Forum aufzuwerten und der Internationalisierung der britischen Grenzpolitik einen weiteren Baustein hinzuzufügen.

Für die Implementierung des Aktionsplans wird auf britischer Seite das Border Security Command, damit also das grenzpolizeiliche Herzstück der Regierung Starmer, verantwortlich sein; auf deutscher Seite ist es das Bundesinnenministerium. Der Aktionsplan ist in der Anfangsphase auf ein Jahr, und zwar von Dezember 2024 bis Dezember 2025, angelegt. Seine Ziele sollen jährlich überprüft und revidiert werden. Diese Überarbeitung soll, wie auch das laufende Monitoring, auf der Arbeitsebene zwischen den Ministerien sowie durch eine halbjährlich tagende Untergruppe des UK-Germany Home Affairs Dialogue erfolgen.