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Sanktionsregime gegen Schleusungen

Die britische Regierung kündigt ein neuartiges Instrument zur Bekämpfung der „irregulären Migration“ an: Sanktionen gegen Schleusernetzwerke und Akteure, die von Bootspassagen am Ärmelkanal profitieren. Dies, so die Regierung, sei weltweit einzigartig und werde das Geschäft der Schleuser_innen im Kern treffen. Dabei bestehen Zweifel, ob dies gelingen kann. Indirekt könnte es einen populistischen Blick auf Migration verstärken.

Die britische Regierung kündigte ihr Vorhaben am 8. Januar 2025 an. In ihrer Presseerklärung heißt es, man werde „ein neues Sanktionssystem entwickeln, um Menschenschmugglerringe zu zerschlagen und ihnen die illegalen Finanzmittel zu entziehen, mit denen sie ihre Aktivitäten finanzieren.“ Die Regierung präsentiert sich als internationaler Vorreiter und spricht vom „weltweit ersten eigenständigen Sanktionssystem zur Bekämpfung der irregulären Migration [sic!] und der organisierten Einwanderungskriminalität“.

„Kriminelle Netze machen riesige Gewinne, indem sie schutzbedürftige Menschen ausbeuten, indem sie irreguläre Migrationsbewegungen durch Europa, einschließlich gefährlicher Seepassagen, erleichtern“, so die Regierung. Die Sanktionen sollen sich „gegen Personen und Einheiten (entities)“ richten und „voraussichtlich noch in diesem Jahr in Kraft treten“. Bis dahin würden Sanktionsexpert_innen verschiedener Ressorts mit den Strafverfolgungsbehörden und dem Innenministerium eine Regelung ausarbeiten, welche „die Finanzströme an der Quelle eindämmt“. Eine Schlüsselrolle nehmen dabei, wie in der gesamten Migrationspolitik der Regierung Starmer, die National Crime Agency und das 2024 neu geschaffene Border Security Command (siehe hier) ein.

Die Regierung sieht das geplante Sanktionsregime als weiteren Baustein ihres Ansatzes, die undokumentierte Migration durch Druck auf Schleusernetzwerke und Maßnahmen gegen die Lieferung von Booten und Bootszubehör zu verringern. Ihr Ansatz umfasst einerseits eine Ausweitung der Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden nach dem Vorbild der Terrorismusbekämpfung, andererseits die Einbeziehung europäischer und internationaler Partner. Auch das geplante Sanktionsregime baue, so die Regierung, auf „monatelanger Arbeit“ mit externen Partnern aus. Ausdrücklich erwähnt werden das Treffen der Europäischen Politischen Gemeinschaft im Juli 2024, die Calais Group (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Belgien, Niederlande, Europol, Frontex; siehe hier), mehrere bilaterale Vereinbarungen etwa mit dem Irak und Deutschland (siehe hier und hier) sowie der Anti-Smuggling Action Plan auf Ebene der G7-Staaten (siehe hier).

Über die Mechanismen des Sanktionsregimes ist noch wenig bekannt, ebenso bleibt vage, wer in Zukunft betroffen sein könnte. Die Regierung selbst wies auf die Absicht des Innenministeriums hin, „mutmaßliche Menschenschmuggler“ im Rahmen der Serious Crime Prevention Orders mit „sofortigen Reiseverboten, Sperren von Social Media und Einschränkungen der Telefonnutzung“ zu belegen. Außenminister David Lemmy sprach gegenüber britischen Medien von Sanktionen gegen Unternehmen, die Boote herstellten und häufig in China ansässig seien. Er deutete an, dass möglicherweise auch andere Güter wie Motoren und Rohstoffe wie Gummi betroffen sein könnten. Premierminister Keir Starmer hob in einem Gespräch mit der BBC hervor, dass Sanktionen im Vergleich zur klassischen Strafverfolgung wesentlich schneller wirken und genau darin ihre Stärke liege. Er habe während seiner Tätigkeit als Staatsanwalt gelernt, dass kriminelle Organisationen an ihren Finanzströmen empfindlich getroffen werden könnten.

Das Vorgehen gegen Finanzströme gilt auf europäischer Ebene als Schlüsselelement bei der Bekämpfung schwerer Formen Organisierter Kriminalität, zu denen auch professionelle Schleusernetzwerke gezählt werden. Zuletzt wurde dieser Aspekt auch von der britischen Regierung stärker hervorgehoben. Im Prioritätenplan der Calais Group für das Jahr 2025 sind Maßnahmen gegen Finanzströme und das informelle Hawala-Banking eine von insgesamt fünf Prioritäten. Konkret soll die Zusammenarbeit der teilnehmenden Staaten und EU-Behörden verbessert werden, um genauere Erkenntnisse zu gewinnen. Dies verbessert die Grundlage für zielgerichtete britische Sanktionen, auch wenn diese im Prioritätenplan der Calais Group nicht ausdrücklich erwähnt werden.

Auch die BBC hebt hervor, dass die Sanktionspläne vor allem auf Finanzströme abzielen. Dies bedeute konkret, „dass im Vereinigten Königreich ansässige Einzelpersonen und Finanzinstitute per Gesetz daran gehindert werden, mit sanktionierten Gruppen Geschäfte zu machen.“ Dieser Ansatz laufe jedoch rasch ins Leere, denn Schleuser_innen agierten häufig „in einem informellen, auf Bargeld basierenden Netzwerk, so dass es für die Behörden schwierig ist, ihr Vermögen ins Visier zu nehmen.“ Der Sender skizziert daher eine zweite Stoßrichtung der Sanktionen: Sie könnten es einfacher machen, gegen die Lieferketten der Boote vorzugehen und Mittelsleute zu bestrafen, „die die Netzwerke verbinden und dabei helfen, Asylsuchende durch Europa nach Nordfrankreich zu bringen.“

Ob künftige Sanktionen das Kerngeschäft kommerzieller Schleusungen tangieren oder eher randständige Akteur_innen treffen werden, muss sich also noch zeigen. Fraglich ist beispielsweise, ob nach deutschem Recht legale, in Großbritannien aber zunehmend problematisierte, Handlungen wie der Verkauf oder die Lagerung von Schlauchbooten sanktioniert werden könnten. Sollten sich die Sanktionen vor allem gegen die Lieferketten richten, könnte dies indirekt zu größeren Risiken für die Menschen führen, die eines der Boote besteigen.

Der britische Plan verändert nicht zuletzt den Blick auf Migration, der bereits jetzt durch eine Verkürzung auf Sicherheits- und Kriminalitätsaspekte verengt ist. Denn die Regierung greift nun zu einem Instrumentarium, das üblicherweise bei Terrorismus, Kriegsverbrechen und hybrider Kriegsführung zum Einsatz kommt. Genau dies aber kann leicht zu populistischen Kurzschlüssen führen, denn es verknüpft Migration mit Kategorien wie Feindstaat, Kriegsverbrechen und Terrorismus, so als habe man es auf der Kanalroute mit dem IS, Gazprom oder Putin zu tun. Der britische Vorstoß könnte zudem von anderen Staaten aufgegriffen werden und zu einer weiteren Dämonisierung der Migration beitragen.