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Neues Sandhurst-Investment in Calais

Strassenausbau neben einem Camp im Gewerbegebiet Turquerie, 2. Dezember 2024. (Foto: Calais Border Monitoring)

Am Rand von Calais entsteht seit Januar 2025 eine Zaunanlage großen Ausmaßes. Neue Hochsicherheitszäune sollen die Gewerbegebiete Transmarck und Turquerie vor Migrant_innen abschirmen. Das Gebiet ist ein wichtiger Knotenpunkt für den Lastkraftverkehr nach Großbritannien, daher seit Jahren auch ein informeller Migrationspfad und Standort mehrerer Camps. Nun investiert Großbritannien 4,5 Millionen Euro in Zäune mit einer Gesamtlänge von elf Kilometern.

Den Anstoß für ihren Bau gab ein Zusammenschluss ansässiger Unternehmen. Wie die Zeitung La voix du Nord berichtet, stammen die Mittel aus dem Sandhurst-Fonds, einem Instrument der britischen Regierung zur Förderung der vorgelagerten Migrationsbekämpfung auf französischem Staatsgebiet – ein vor Jahren etabliertes Verfahren. Am 4. September 2024 erklärten der Präfekt des Departements Pas-de-Calais, Jacques Billant, und die Calaiser Bürgermeisterin Natacha Bouchart in ihrer Funktion als Präsidentin der Communauté d’agglomération Grand Calais Terres et Mers – einem Kommunalverband für den Ballungsraum Calais –, sie hätten die vollständige Kostenübernahme in Höhe von 4.538.000 € durch Großbritannien erreichen können. Vorfinanziert und verwaltet wird das Projekt durch die Communauté. Es fügt sich damit in eine lange Reihe politischer und baulicher Maßnahmen Boucharts gegen die informellen Lebensorte und die Versorgung der Geflüchteten ein.

Die Zäune sollen zwei benachbarte Zonen abschotten: Das Gewerbegebiet Transmarck auf dem Gebiet der Gemeinde Marck und das angrenzende, noch im Ausbau befindliche Gewerbegebiet Turquerie auf dem Gebiet der Stadt Calais. Vorgesehen ist eine Gesamtlänge der Zäune von 11 Kilometern, die ein Gebiet von 220 Hektar umschließen sollen, in dem sich momentan etwa 30 Betriebe befinden. Die Vorarbeiten begannen um die Jahreswende, bevor am 20. Januar 2025 die ersten Pylone der drei Meter hohen Anlage errichtet wurden. Lokalen Medien zufolge soll der Bau bis 2027 abgeschlossen sein. Ausführendes Unternehmen ist Cesbron Travaux Publics aus Craywick bei Dunkerque.

Gewerbegebiet Turquerie, April 2024. (Foto: Calais Border Monitoring)

Die 2012 in Calais gegründete Firma ist Teil einer regionalen Ökonomie, die von der Sekuritisierung des französisch-britischen Migrationsraums profitiert. Bereits 2017 hatte sie eine ähnliche Anlage entlang eines Güterbahngleises zum Calaiser Fährhafen errichtet, die in den folgenden Jahren auf ein angrenzendes Gewerbegebiet, die Zone industrielle des dunes, ausgeweitet wurde (siehe hier). Dieses Gebiet spielte in der langen Geschichte der Calaiser Camps eine herausragende Rolle, auch weil die Bezeichnung Jungle dort ihren Ursprung hatte.

Auch 2017 und in den folgenden Jahren befanden sich dort zahlreiche Camps sowie Anlaufstellen für Nahrung, Trinkwasser und sanitäre Anlagen, die mit dem Ausbau der Zäune allmählich verdrängt wurden – unter anderem nach Transmarck und in das zunächst noch unerschlossene Areal der Turquerie. Unter dem informellen Namen Old Lidl wurde eines dieser Camps vorübergehend zu einem der größten der Region. Die fortschreitende Erschließung der Gewerbeflächen schränkt den Raum jedoch zunehmend ein, ohne die Camps gänzlich zu verdrängen (siehe hier). Der weitere Ausbau der Zäune dürfte informelle Lebensorte in diesem Gebiet jedoch unmöglich machen und neue Verlagerungen innerhalb der lokalen Migrationsgeografie bewirken.

Camp Old Lidl und eingezäuntes Betriebsgelände im Gewerbegebiet Turquerie, 2. Dezember 2024. (Foto: Calais Border Monitoring)

Für die dort lebenden Menschen, unter ihnen ein kontinuierlich großer Anteil von Geflüchteten aus dem Bürgerkriegsland Sudan, sind die von unzähligen Lastwagen angesteuerten Fracht- und Logistikbetriebe ein möglicher Migrationspfad nach Großbritannien. Vor diesem Hintergrund war die Konzeption der beiden Gewerbegebiete frühzeitig mit Sicherheitsaspekten gekoppelt: Unternehmen sicherten ihre Zufahrten und Stellplätze mit eigenen Hochsicherheitszäunen; an neuralgischen Punkten wurden Überwachungskameras installiert; hinzu kam eine starke Polizeipräsenz. Zusätzlich wurden entlang der vorbeiführenden Autobahn breite Wassergräben angelegt – ein Bewegungshindernis, um zu verhindern, dass Exilierte auf zum Fährhafen fahrende Lastwagen steigen.

Allerdings spielt dieser Migrationspfad angesichts der Bootspassagen nur noch eine untergeordnete Rolle. Präfekt Billant sprach im Zusammenhang mit der neuen Zaunanlage im September 2024 sogar von faktischem Verschwinden. Die Versuche von Geflüchteten, von außen in das Gelände des Fährhafens und des Kanaltunnels einzudringen, seien von etwa 15.000 im Jahr 2016 auf 127 in 2023 und eine vergleichbare Zahl in 2024 zurückgegangen. Aus Sicht der Präfektur liegt der Grund in der Sekuritisierung dieser Verkehrsknotenpunkte. Allerdings betrachten die Behörden Transmarck und Turquerie als Ausgangsbasis, um sich auf Lastwagen zu verstecken: „Die Ströme über den Ärmelkanal organisieren sich um dieses Gewerbegebiet herum. Im Jahr 2023 entdeckten wir noch 3.142 Migranten in Lastwagen, und seit Anfang 2024 sind wir bei 2.646 angekommen“, so Billant.

Nach dem Fährhafen, dem Kanaltunnel und der Zone des dunes sind Transmarck und Turquerie das vierte Gebiet im Raum Calais, das großglächig mit Hochsicherheitszäunen umgeben wird. Die Gesamtlänge der verbauten Zäune beträgt inzwischen etwa 80 Kilometer. Sie haben die Migration nicht verringert, sondern letztlich zur Etablierung der Bootspassagen beigetragen.