Im September 2020 verbot der französische Staat die Verteilung von Nahrung und Getränken an Geflüchtete in bestimmten Teilen von Calais, sofern diese nicht mit staatlichem Mandat erfolgte (siehe hier). Die Verbote verschärften die humanitäre Dauerkrise in den Camps und schränkten die Handlungsmöglichkeiten zivilgesellschaftlicher Organisationen empfindlich ein. Nach viereinhalb Jahren steht nun fest: Das damalige Vorgehen der Behörden war rechtswidrig.
Das Verbot gründete sich auf einen Erlass der Präfektur des Departements Pas-de-Calais und galt zunächst vom 11. bis 30. September 2020. Mehrere unabhängige Organisationen versuchten damals, das Verbot juristisch zu kippen, scheiterten jedoch noch im September vor dem Staatsrat (siehe hier).
Unmittelbar vor dem Auslaufen des Verbots folgte ein neuer befristeter Erlass, der dann von Mal zu Mal in derselben Weise fortgeschrieben wurde. Aus der auf wenige Wochen befristeten Verbotsregelung wurde damit ein dauerhafter Zustand. Dies hinderte die lokal verankerten NGOs daran, dort Nahrung und Getränke zu verteilen, wo diese am dringendsten benötigt wurden: bei den Camps. Zwar ließ die Präfektur durch andere Organisationen Hilfe leisten, jedoch nicht im benötigten Ausmaß und nicht an allen Orten. Erschwert wurde die Hilfe außerdem durch die Corona-Pandamie, die bauliche Blockade von Verteilungsplätzen und missbräuchlich verhängte Bußgelder gegen Freiwillige der unabhängigen Organisationen (siehe hier).
Nach einer kurzzeitigen Unterbrechung kehrte die Präfektur im August 2022 zu dieser Verbotspaxis zurück. Doch schon nach zwei Monaten, am 12. Oktober 2022, hob das Verwaltungsgericht in Lille drei Erlasse vom Herbst/Winter 2020/21 auf und gab damit den unabhängigen Organisationen Recht, die dagegen geklagt hatten (siehe hier). Gegen diese Entscheidung legte der französische Innenminister Gérald Darmanin Berufung ein.
Am 3. März 2025 entschied nun das Berufungsgericht (Cour administrative d’appel) in Douai zugunsten der Hilfsorganisationen. Es stellte fest, dass die Verbotsverfügungen vom 30. September, 16. November und 14. Dezember 2020 rechtswidrig waren, und bestätigte damit die Entscheidung des Liller Gerichts.
Wie Utopia 56 als eine der klagenden Organisationen mitteilt, betonte das Gericht die Unverhältnismäßigkeit der Verbote. Diese stünden in keinem Verhältnis zu den angestrebten Zielen und seien durch die Abwehr der von der Präfektur benannten Risiken nicht begründet gewesen. Die Präfektur hatte sich auf die Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung, unhygienische Zustände und die Epidemie berufen. Außerdem verurteilte das Gericht den Staat zur Zahlung von 4.000 € an die klagenden Organisationen.
„Wir haben gewonnen“, schrieb Utopia 56 nach der Entscheidung. Die Organisation hofft nun, mit ihrem juristischen Sieg einen Präzedenzfall geschaffen zu haben und auf diese Weise verhindern zu können, „dass zukünftig in Calais, aber auch in Paris und anderen Städten, Verteilungsverbote erlassen werden.“