
Seit Längerem ist absehbar, dass die Zahl der Bootspassagen in diesem Jahr bislang größer ist als im gleichen Zeitraum der Vorjahre. Am gestrigen 28. April wurde die Marke von 10.000 dokumentierten Ankünften überschritten.
Am 28. April registrierten die britischen Behörden die Ankunft von 473 Menschen auf acht Booten. Die Zahl der Ankünfte seit Jahresbeginn stieg damit auf 10.358 Personen. Diese Marke wurde noch nie so früh in einem Jahr erreicht: Im Jahr 2021 war es am 4. August, im Jahr 2022 am 7. Juni, im Jahr 2023 am 17. Juni und im Jahr 2024 am 24. Mai. Dies bedeutet, wie an dieser Stelle schon mehrfach beschrieben: Die früher eher gemiedene kalte Jahreszeit wird tendenziell immer stärker für die Passage genutzt.
Hatten die ersten zehntausend Passagier_innen des Jahres 2021 noch 440 Boote zur Verfügung, waren es 2025 nur noch 186. Die Zahl der Boote ist innerhalb dieser fünf Jahre also um fast 58 % zurückgegangen und die Risiken aus diesem und anderen Gründen stark gestiegen.
Die regelmäßigen Presseerklärungen der französischen Seepräfektur werfen hierauf ein Schlaglicht. In Nacht des 27./28 April geriet ein Schlauchboot in Seenot, das östlich von Calais gestartet hatte. An Bord befanden sich 77 Passagier_innen, die nach einem Notruf gerettet werden konnten. Auch in der folgenden Nacht legten zahlreiche Boote ab, von denen mehrere in Schwierigkeiten gerieten und um Hilfe baten; darufhin wurden im Seegebiet bei Dunkerque 37 und bei Boulogne-sur-Mer 15 Menschen gerettet. Neue tödliche Vorfälle wurden glücklicherweise nicht gemeldet, sind jedoch nur eine Frage der Zeit.
Allein NGO Osmose 62 dokumentierte in den ersten vier Monaten dieses Jahres zahlreiche riskante Situationen allein in dem von ihr betreuten Küstengebiet um Boulogne-sur-Mer, so etwa am 15. April, als nach Aussage eines Betroffenen 38 Menschen bei Wimereux in ein Schlauchboot steigen wollten, aber von einem Schleuser bedroht wurden.„Unter Schock müssen die sieben betroffenen Familien ihre Überfahrt aufgeben und durchnässt, manchmal barfuß, zurück auf die Straße. Die Feuerwehr greift schnell ein und wir verteilen heiße Getränke und Essen. […] Bei strömendem Regen wärmen sich die Geretteten unter Rettungsdecken. Eine Mutter, die auf dem Boden sitzt, drückt ihr kleines Mädchen an sich, um es zu wärmen.“ Situationen wie diese stechen in keiner Weise heraus, sondern sind alltäglich geworden.