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Calais

Einschüchterung von Menschenrechts-Beobachter_innen

Weil sie sich angeblich zu nah an einem Bahngleis befanden, wurden zwei Freiwillige der Calaiser NGO Human Rights Observers Anfang April festgenommen und 17 Stunden in Polizeigewahrsam gehalten. Sie hatten einen Polizeieinsatz an einem informellen Lebensort von Exilierten in Calais dokumentieren wollen. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Menschenrechtslage in Calais, aber auch auf die Bedingungen, unter denen sie unabhängig beobachtet werden kann.

Die Human Rights Observers (HRO) dokumentieren seit 2017 systematisch die polizeilichen Räumungen von Camps u.a. in Calais. Da die Behörden dort in der Regel alle 48 Stunden mehrere Camps räumen, ohne diese wirklich aufzulösen, begegnen sich Angehörige von Polizei/Gendarmerie und HRO regelmäßig in einer wiederkehrenden Situation. Die Beobachter_innen stützen sich dabei auf geltendes Recht, verhalten sich professionell und vermeiden insbesondere konfrontative Situationen. Dabei erleben sie immer wieder Einschüchterungsversuche, mussten aber nicht mit Festnahme rechnen.

Dies änderte sich am 7. April 2025. Wie die HRO in einer Presseerklärung und auf Instagram mitteilten, hatte ihr Team die Räumung von drei informellen Lebensorten in Calais dokumentiert. Anschließend erfuhr das Team von der Anwesenheit der Polizei an einem weiteren Ort, wo in der Vergangenheit wiederholt von Polizeigewalt berichtet worden war. „Als sich das Team dorthin begab, wurden zwei HRO-Mitglieder von einer Gruppe von Polizist_innen, darunter auch Bahnpolizist_innen, festgenommen und in Gewahrsam genommen, weil sie sich angeblich in der Nähe von Bahngleisen aufgehalten hatten, um die Räumungen zu beobachten und zu dokumentieren.“

Es folgte ein siebzehnstündiger Polizeigewahrsam. Einer der Betroffenen beschrieb die Situation als „psychisch sehr belastend“, es habe ein „allgemeines Unverständnis über seine Rolle als unabhängiger Beobachter“ bestanden. Ausserdem seien „abfällige Bemerkungen“ gemacht und eine Speicherkarte mit Fotos, die während seiner Arbeit entstanden waren, gelöscht worden. HRO verurteilt die Repressalien als missbräuchlichen Einschüchterungsversuch und fordert die Behörden auf, „diese repressiven Praktiken zu beenden und das Recht auf Beobachtung und Dokumentation zu respektieren.“

Der Fall unterscheidet sich von den Einschüchterungen und Behinderungen, die HRO von Anfang an erlebte und auch in diesem Jahr regelmäßig dokumentierte. Demnach wurde die Beobachtung von Räumungen seit Jahresbeginn mehr als 50 Mal blockiert. Mindestens 14 Mal seien Freiwillige ohne Vorwarnung gefilmt worden, davon dreimal mit Privathandys von Beamt_innen. Solche Maßnahmen zielen, so HRO, „eindeutig darauf ab, die unabhängige Beobachtung von Polizeipraktiken zu behindern.“

Die inhumanen Bedingungen in den Camps stehen im Gegensatz zu gelegentlichen Erklärungen der französischen Behörden, die Situation verbessern zu wollen. Das Ausmaß des Elends und der Anteil, den die ständigen Räumungen daran haben, ließen sich ohne die regelmäßige Präsenz der HRO-Teams kaum verstehen. Durch sie wissen wir, dass in den Monaten Januar bis März 2025 in Calais mindestens 184 Räumungen stattfanden, von denen neun informelle Lebensorte hunderter Exilierter betroffen waren. Die Räumungen erfolgten auch bei winterlichen Temperaturen im bekannten 48-Stunden-Turnus. 283 Zelte bzw. Schutzplanen wurden beschlagnahmt, wobei sich in mindestens 39 Zelten noch persönliche Gegenstände befanden; hinzu kommen weitere beschlagnahmte Güter. Mindestens 36 Exilierte wurden bei solchen Aktionen festgenommen. Mehrmals beobachteten die HRO-Teams einschüchterndes und rechtswidriges Verhalten gegenüber den Betroffenen, und nicht nur dies: Im Februar erhielt die NGO Informationen über zwei Räumungen, die außerhalb des üblichen Turnus frühmorgens bzw. spätabends stattgefunden hatten. „Diese Räumungen scheinen Schauplatz verschärfter Gewalt seitens der Ordnungskräfte zu sein und überraschen die Bewohner aufgrund ihres ungewöhnlichen Charakters und des Fehlens vorheriger Informationen. HRO war nicht anwesend, um diese Ereignisse zu beobachten und zu dokumentieren,“ so HRO.