Bei der Havarie eines Schlauchboots im Seegebiet bei Boulogne-sur-Mer starb in der Nacht vom 11. zum 12. Mai 2025 erneut ein Geflüchteter. Das Unglück ereignete sich, als nach einer Schlechtwetterperiode zahlreiche riskante Überfahrten stattfanden. Gleichzeitig berichten NGOs, dass sich verschkechternde Lebensbedingungen in den Camps die Bereitschaft der Menschen erhöhen, größere Risiken auf sich zu nehmen.
Die Seepräfektur für den Ärmelkanal und die Nordsee (Préfecture maritime de la Manche et de la mer du Nord; kurz: Premar) berichtet, am 11. Mai seien Meldungen über mehrere ablegende Boote eingegangen; die Leitstelle CROSS Gris-Nez habe jeweils Überwachung der Boote veranlasst.
„Kurz nach den Abfahrten gerieten mehrere Boote in Schwierigkeiten und baten um Hilfe“, so Premar. Zunächst sei es zu einem Rettungseinsatz bei Dunkerque (Malo-Les-Bains) gekommen. Dort hätten Passagier_innen eines überfüllten Bootes um Hilfe gebeten, einige seien über Bord gesprungen. Zwei Rettungsschiff hätten 45 Menschen an Bord genommen, darunter mehrere Verletzte; die übrigen hätten die Hilfe verweigert und ihre Fahrt nach Großbritannien fortgesetzt. Parallel nahm ein weiteres Rettungsschiff, ebenfalls bei Dunkerque, 23 Passagier_innen eines weiteren Schlauchboots auf. Auch hier setzten die übrigen ihre Fahrt fort.
In der Nacht zum 12. Mai kam es dann zu der tödlichen Havarie südlich von Boulogne-sur-Mer. Das Boot sei von Hardelot aus gestartet und auf Veranlassung der Leitstelle durch das Patrouillenboot Thémis überwacht worden. Das Boot havarierte, so Premar, nach dem Verlust des Heckbretts, an dem der Motor befestigt war. Die Leitstelle habe daraufhin ein weiteres Schiff, die Abeille Normandie, und den Marinehubschrauber Dauphin mobilisiert. Die Thémis habe 13 Menschen an Bord genommen, darunter eine leblose Person, die von einem medizinischen Team für tot erklärt wurden. Zur Identität des Verstorbenen wurde bislang keine Angaben gemacht. Insgesamt seien bei dem Einsatz 68 Menschen im Hafen von Boulogne-sur-Mer an Land gebracht worden; mehrere mussten im Krankenhaus versorgt werden.
In derselben Nacht geriet in derselben Region ein weiteres Boot in Schwierigkeiten. Weitere 56 Menschen wurden gerettet und nach Boulogne-sur-Mer gebracht. Insgesamt seien am 11. Mai und in der folgenden Nacht 192 Menschen geborgen worden, darunter die verstorbene Person.
„Diese neue Tragödie ereignete sich zu einem Zeitpunkt, an dem das ganze Wochenende über zahlreiche Passageversuche zu verzeichnen waren, die durch günstige Wetterbedingungen ermutigt wurden“, so die Zeitung La Voix du Nord. Das Blatt zitiert darüber hinaus mehrere in der Region tätige NGOs, die übereinstimmend darauf hinweisen, dass sich zahlreiche Menschen in den Camps gesammelt haben, gleichzeitig aber sehr viel schlechtere Lebensbedingungen vorherrschen. „Den Verbänden zufolge hat sich die Gesundheitslage in diesen informellen Wohngebieten erheblich verschlechtert. Ganze Familien sind daher gezwungen, so schnell wie möglich aufs Meer hinauszufahren, was die Angst vor neuen Tragödien schürt“, so die Zeitung. Angesichts dieser Situation wollten die Menschen, so eine Sprecherin von Utopia 56, „so wenig wie möglich in diesen Camps bleiben, wo es ihnen an allem mangelt, selbst wenn das bedeutet, dass sie überfüllte Boote besteigen müssen“.
Die in Boulogne-sur-Mer aktive NGO Osmose 62 äußerte „Wut und Empörung“ angesichts des neuen Todesfalls in ihrer Region. „Eine tote Person. Sieben Verletzte, zwei davon mit Verbrennungen. Zahlen, die sich häufen, Dramen, die sich wiederholen, Menschlichkeit, die schwindet. Wir können nicht mehr wegschauen. Der Ärmelkanal ist zu einem Friedhof geworden.“
Es ist der elfte Todesfall im Zusammenhang mit einer Bootspassage seit Jahresbeginn; hinzu kommen weitere Todesfälle auf dem Festland. Seit 2023 hat die Zahl tödlicher Ereignisse auf der Kanalroute stark zugenommen.