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Calais Solidarität

Solidarität aus Deutschland (2)

Die im vorigen Beitrag beschriebenen Transporte von Hilfsgütern von Düsseldorf nach Calais ist nicht die einzige Initiative dieser Art in Deutschland. Immer wieder sind uns während der vergangenen fünf Jahre kleinere und größere Initiativen begegnet, in denen sich Personen aus sehr unterschiedlichen Kontexten für oder in Calais engagierten. Ohne den Anspruch, einen Überblick hierüber geben zu können, möchten wir zwei weitere Transporte aus dem Rheinland nach Calais vorstellen. Ihnen allen war gemeinsam, dass sie die Verknappung der materiellen und personellen Ressourcen infolge des Brexit, wie sie am Beispiel der Düsseldorfer Initiative beschrieben wurde, zu kompensieren halfen. Sie alle agierten unabhängig voneinander, ohne staatliche Unterstützung und außerhalb professioneller NGOs.

Von Aachen nach Calais

Der Verein Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Friedensarbeit enstand 1993 im Kontext der Jugoslawienkriege. Damals führte er Hilfstransporte durch, um der vom Krieg betroffenen Bevölkerung zu helfen. Danach unterstützte er dort Projekte zur Überwindung der im Krieg entstandenen nationalistischen Spaltungen.

Über 20 Jahre später organisierte das Aachener Netzwerk wieder Transporte in den jugoslawischen Nachfolgestaat Bosnien-Herzegowina, diesmal zu den Geflüchteten, die an der militarisierten bosnisch-kroatischen Grenze festsaßen und in extrem prekären Camps leben mussten. Mehrere Transporte von Hilfsgütern gingen seit 2019 in die Region Bihać, wo das Netzwerk u.a. mit der Organisation SOS Bihać um Dirk Planert zusammenarbeitet. Als die Zustände im Grenzgebiet um die Jahreswende 2020/21 starke mediale Aufmerksamkeit fanden, überstieg die Menge der Sachspenden den Bedarf und die Kapazität der bosnischen Partner, sodass weitere Empfänger gesucht wurden.

Das Aachener Netzwerk beschäftigte sich im Sommer 2020 erstmals auch mit Calais, unter anderem im Rahmen einer Recherchereise unseres Blogs. Am 25. Februar 2021 folgte ein erster Transport dorthin; er bestand aus Decken, Schlafsäcken, Jacken und anderen Sachspenden im Umfang von 23 Paletten. Vorausgegangen waren genaue Absprachen über Art, Umfang und Sortierung der Güter, da sie nur so effektiv von den lokalen Initiativen angenommen, gelagert und verteilt werden können. Empfänger der Hilfsgüter waren die warehouses der Auberge des migrants und von Collective Aid. Am Tag der Ankunft des Aachener Lastwagens fand in Calais gerade eine Räumungsaktion gegen Camps in der Umgebung des Krankenhauses statt, was die Kräfte der Geflüchtetenhilfe zusätzlich in Anspruch nahm (siehe hier).

Von Bonn nach Calais

Einen anderer Transport ging einen guten Monat später aus Bonn nach Calais. Vorbereitet und durchgeführt wurde er von einer Gruppe Aktivist_innen, die aus verschiedenen politischen Kontexten, insbesondere der Klimabewegung, Ende Gelände und Seebrücke. Sie brachten zwei Bullis mit Decken, Schlafsäcken, Schuhen, Hygieneartikeln und warmer Kleidung nach Calais und arbeiteten in den folgenden Wochen bei der Refugee Community Kirchen, die unter dem Dach der Auberge des migrants warme Mahlzeiten für die Bewohner_innen der Camps vorbereitet.

Die Gruppe dokumentierte ihre Erfahrungen in Calais in den Sozialen Medien, und zwar explizit, um innerhalb der Klimabewegung die Diskussion über die Zusammenhänge von globalen Erwärmung und der krisenhaften Situation an Orten wie Calais anzuregen und einzufordern. In einem Interview mit der taz (6. April 2021) sagte eine der Aktivist_innen: „Wir zeigen, dass der gemeinsame Nenner dieser beiden Krisen – der rassistischen Krise an den EU-Außengrenzen und der Klimakrise – die White Supremacy ist.“ Genau dies thematisiere die Klimabewegung nicht ausreichend. „Warum ist die Klimabewegung so sichtbar weiß? White Supremacy muss auch innerhalb der Klimabewegung viel mehr thematisiert werden. Wie kann es eigentlich sein, dass der Klimakampf erst seit Fridays for Future so eine mediale Aufmerksamkeit hat, obwohl es eigentlich schon ein so langer Kampf von BIPoC im globalen Süden ist? Das hat einfach nie Aufmerksamkeit bekommen, und jetzt schreibt man die Klimagerechtigkeitsgeschichte im globalen Norden neu.“

Das Video

Der Bonner Transport wurde von der Journalistin Lara Lohmann begleitet. Ihr in der YouTube-Reihe „Man müsste mal“ des im WDR veröffentlichten Video „Geflüchtete in Calais: Aktiv werden und nicht wegschauen!“ skizziert die persönliche und politische Motivation der Gruppe, gibt einen Einblick in die Arbeitsabläufe der Freiwilligen und zeigt am Beispiel geräumter Camps in Grande-Synthe die Spuren von Prekarisierung und Polizeigewalt. Der Film verzichtet auf Filmaufnahmen während der Verteilung von Mahlzeiten, Brennholz, Zelten oder Kleidung und reflektiert stattdessen die Grenzen des Filmens von Menschen an solchen Orten und in solchen Situationen. Allerdings zeigte er Ausschnitte aus Videos, die bei Räumungen entstanden und von Human Rights Observers veröffentlicht worden waren – Bildquellen, die auch wir wiederholt genutzt und verlinkt haben (siehe etwa hier und hier).

Übrigens hat diese Passage des Films eine Nachgeschichte. Um die Vorwürfe gegen die staatlichen Behörden zu überprüfen, schickte die Journalistin dieses Bildmaterial am 6. April an die französische Botschaft und erbat eine Stellungnahme. Trotz telefonischer Zusage und expliziter Nachfrage steht die Antwort aus.