Am 21. Juni 2021 veröffentlichte die zivilgesellschaftliche Organisation Utopia 56 eine Liste aktueller Misshandlungsfälle, von denen sie bei ihrer Arbeit mit Geflüchteten in Calais erfahren habe. Genannt werden sowohl Fälle erniedrigender Behandlung, als auch Akte unmittelbarer physischer Gewalt. Über vergleichbare Fälle war seit den 2000er-Jahren mehrfach und von verschiedenen Akteur_innen berichtet worden; dennoch stechen die Schilderungen aus dem hervor, was in den vergangenen Jahren in Calais ‚normal‘ war. Der auf Facebook eingestellte und im Folgenden in deutscher Übersetzung dokumentierte Text ist als politische Anklage gegen den Präfekten des Pas-de-Calais angelegt. Zu Recht weist Utopia auf den systemischen Charakter der Gewalt in Calais hin, der nicht zwingend solcher unmittelbarer Brutalität bedarf. Dennoch bleibt zu hoffen, dass zumindest einige der Gewaltakte gerichtlich aufgearbeitet werden.
Polizeigewalt und Misshandlung in Serie
Seit der letzten Woche haben wir zahlreiche Berichte über schwerwiegendes Verhalten der Polizei gegenüber Geflüchteten in Calais erhalten:
Mehrere Familien mit kleinen Kindern hatten ihre Zelte mit Tränengas überzogen, was ihre einzige Unterkunft unbewohnbar machte.
Ein paar Tage später erzählte uns ein Mann im selben Camp, dass er von einem Polizisten geweckt wurde, der auf ihn urinierte.
Wir trafen einen Mann in einem Schockzustand, der berichtete, dass er auf dem Rücksitz eines Lastwagens verhaftet, im Polizeifahrzeug zusammengeschlagen und schließlich eine Straße weiter wieder freigelassen worden war.
Eine Person wurde an der Schulter und am Hals verletzt, um sie zu zwingen, Fingerabdrücke zu nehmen.
Ein junger Mann kontaktierte uns, weil er barfuß auf einer Autobahnauffahrt stand. Die Polizei hatte seine Schuhe einbehalten und ihn dort zurückgelassen.
Schließlich trafen wir eine Person mit blutigen Brandflecken an den Beinen, die uns erzählte, dass sie von Polizisten festgehalten worden war, während einer ihrer Kollegen sie mit einem Feuerzeug verbrannte.
Trotz des Entsetzens, das diese traurigen Geschichten in uns hervorrufen, sollten wir nicht vergessen, dass diese Gewalt systemisch ist und dass sie Teil einer globalen Politik der Schikanen und der Gewalt gegen Exilierte durch die öffentlichen Behörden ist, nicht wahr, Präfekt von Pas-de-Calais? Genug davon!
(Utopia 56)