Mit einer Petition an die Préfecture du Nord versucht die Rechtshilfe La Cabane Juridique momentan die Abschiebung eines eritreischen Exilierten in die Niederlande zu verhindern. Betroffen von der drohenden Maßnahme ist der Mann, der am 11. November 2020 in Calais durch einen Polizeieinsatz schwer verletzt worden war: Er war durch ein Gummigeschoss, dass ein CRS-Beamter aus weniger als zehn Metern Entfernung auf ihn abgeschossen hatte, am Kopf getroffen worden. Über den Fall hatten zahlreiche französische Medien, darunter die Libération, berichtet (siehe hier und hier).
In der Petition heißt es, dass der 47jährige Bhrane G. zwei Monate lang im ersten Zustand stationär behandelt wurde und sich zwei chirurgischen Eingriffen unterziehen musste. Noch heute leidet er unter erheblichen physischen und psychischen Folgen der Gewalttat.
Bhrane ist aus Eritrea geflüchtet, um der berüchtigten Zwangseinbefugung durch das Afewerki-Regime zu entgehen. 2014 stellte er einen Asylantrag in den Niederlanden, der 2019 endgültig abgelehnt wurden. Dadurch fiel ein später in Frankreich gestellter Asylantrag unter die Regelung der EU-Dublin-Verordnung, der zufolge die Niederlande für das Verfahren zuständig sind. Im Februar 2021 erhielt Frankreich die niederländische Zustimmung zu einer Rückführung dorthin. Eine Intervention Bhranes vor dem Verwaltungsgericht Lille scheiterte.
Über die zu erwatenden Folgen einer Abschiebung heißt es in der Petition: „In den Niederlanden wird Bhrane keinen neuen Antrag stellen können. Wie Frankreich weist das Land eritreische Exilierte, deren Asylantrag abgelehnt wurde, nicht in ihr Herkunftsland aus. Wenn sie zurückkehrten, riskierten sie Verhaftung, Folter oder Tod, da das Stellen eines Asylantrags dort als ein Akt des Widerstands gegen die Regierung angesehen würde. Bhrane wird gezwungen sein, die Niederlande zu verlassen, und riskiert damit eine erneute Zuordnung zum Dublin-Verfahren in einem beliebigen europäischen Land… Ihn zurückzuschicken verurteilt ihn zu einer von der Europäischen Union wissentlich geschaffenen Situation des Umherirrens.“
Bhrane hatte, so die Petition, vor dem Verwaltungsgericht Lille argumentiert, dass „seine medizinische Versorgung in Frankreich fortgesetzt werden sollte, insbesondere in kieferorthopädischer, zahnärztlicher und neurologischer Hinsicht“. Außerdem müsse er zur Weiterverfolgung seiner Strafanziege gegen den Polizisten wegen ‚vorsätzlicher Gewaltanwendung durch eine Autoritätsperson‘ in Frankreich bleiben können. Die Staatsanwaltschaft Boulogne-sur-Mer habe in dieser Sache inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, ebenso der Défenseur des droits (Ombudsstelle der Franzsösischen Republik für Menschenrechte) und auch die zentrale Leitung der CRS selbst.
Sowohl die Präfektur, als auch das Verwaltungsgericht hätten die Abschiebung in die Niederlande aus humanitären oder Ermessensgründen aufheben können; auch lasse die Dublin-Verordnung eine Prüfung des Asylantrags durch Frankreich zu. „Der französische Staat muss seine Verantwortung wahrnehmen. Seine Polizeikräfte sind für den sich verschlechternden Gesundheitszustand von Bhrane verantwortlich. […] Frankreich muss sich um seinen Asylantrag kümmern, sofort.“