Fand die Situation der Geflüchteten in Calais nach der Räumung des zeitweise von über 10.000 Exilierten bewohnten Jungle im Oktober 2016 kaum öffentliches Interesse, so hat sich die Situation fünf Jahre später verändert. Damals wie heute ist der Protest gegen die Situation der Exilierten von künstlerischen und politischen Interventionen begleitet. Eine solche ist die Theateraktion The Walk, bei der „Little Amal“ – ein geflüchtetes Mädchen, das durch eine 3,5 Meter Puppe repräsentiert wird – nach Dunkerque und Calais kommen wird.
Hinter der Aktion steht das britische Theaterkollektiv Good Chance Theatre, dessen Geschichte untrennbar mit Calais verbunden ist. Das Kollektiv hatte 2015 inmitten des Jungle sein erstes temporäres Theatergebäude errichtet und das öffentliche Leben dieser informellen urbanen Siedlung auf diese Weise mit geprägt.
The Walk begann am 27. Juli 2021 im türkischen Gaziantep nahe der syrischen Grenze und wird am 3. November in Manchester enden. Das Projekt rekapituliert damit eine 8.000 Kilometer lange Fluchtroute durch die Türkei, Griechenland, Italien, Frankreich, Deutschland, Belgien und Großbritannien, entlang derer an über 50 Stationen kulturelle und politische Programme stattfinden. Am 16. Oktober wird Amal – übersetzt: „Hoffnung“ – Dunkerque und am 17. Oktober Calais erreichen.
Ort der dortigen Veranstaltung ist das ehemalige Fort Nieulay. Dort war Ende 2020 ein Platz mit Felsklötzen versperrt worden, um die Versorgung von Geflüchteten mit Nahrung zu erschweren (siehe hier). Zu ähnlichen Maßnahmen greifen die Behörden momentan in einem nahe gelegenen Gelände, um die Versorgung eines Camps mit Trinkwasser zu behindern (siehe hier). Außerdem wurden die Hochsicherheitszäune entlang der Autobahn in der Nähe von Fort Nieulay in diesem Jahr erweitert, um den Zugang der Exilierten zum Eurotunnel-Gelände weiter zu erschweren. Es verwundert nicht, dass die Stadt Calais der Ankunft von Amal ablehnend gegenübersteht.
Wie auch an anderen Stationen, wurde die Aktion durch lokale Initiativen vorbereitet, die Exilierte und Bürger_innen zusammenführen sollten. Dazu gehört u.a. eine Werkstatt zum Bau von Drachen. Als Material dienen die Reste konfiszierter und zerstörter Zelte. Eine vorausgegangene Werkstatt hatte einen mobilen Gedenkort an die Opfer des britisch-französischen Grenzregimes geschaffen (siehe hier). Zu dieser künstlerisch-politischen Mobilisierung gehören zwei der Aktivist_innen an, die am 11. Oktober in Calais einen Solidaritäts-Hungerstreik durchführen.