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Calais Solidarität

Eine Messe als solidarische Geste

Räumung im Frost: Geflüchtete in Marck bei Calais bringen ihr Zelt in Sicherheit, 22. Dezember 2021. (Foto: Auberge des migrants)

Am Abend des heutigen 24. Dezember 2021 wird der Bischof von Arras, Olivier Leborgne, am eritreischen BMX-Camp in Calais die Weihnachtsmesse zelebrieren. Angestoßen wurde diese Geste vom Jesuitenpater Philippe Demeestère, einem der drei Aktitivist_innen, die im Oktober und November den Hungerstreik gegen die entwürdigende Behandlung der Exilierten durchgeführt hatten (siehe hier). Demeestère, der den Hungerstreik vorzeitig hatte abbrechen müssen, hatte damals weitere Aktionen angekündigt, die vor allem auf praktische Solidarität zielten. Eine davon ist die Messe im Camp. Seiner Erfahrung nach ist es die erste größere religiöse Feier an einem Lebensort der Exilierten nach der Zerstörung des großen Jungle einschließlich seiner äthiopisch-orthodoxen Kirche und seiner diversen Moscheen im Oktober 2016. Neben der politischen Symbolik, die in der Feier liegt, stellt sie für die Gläubigen unter den Exilierten auch eine immaterielle Ressorce dar, die von den säkular orientierten Hilfsorganisationen naturgemäß nicht bereitgestellt werden kann.

Äthiopisch-orthodoxe Kirche im Jungle von Calais, 2016. (Foto: Th. Müller)

Im Laufe des Dezember hatte Demeestère mehrmals im BMX-Camp übernachtet, nachdem sich die Bewohner_innen für seine Aufnahme ausgesprochen hatten. Der Bischof von Arras, zu dessen Diözese Calais gehört, hatte Demeestère bereits im vergangenen Winter darin unterstützt, in kirchlichen Räumen in Calais Exilierte zu berherbergen (siehe hier); auch der Hungerstreik selbst und das Gedenken an die Opfer des Grenzregimes hatten zum Unmut rechtskatholischer Kreise die Unterstützung der Kirche gefunden. In einem Interview mit La Voix du Nord bekräftigte der Bischof dies am heutigen Tag noch einmal.

Die für alle offene Messe findet auf einem Platz vor dem Camp statt, der normalerweise für die Verteilung von Hilfsgütern, aber auch als trockene Fläche fürs Fußballspielen, genutzt wird. In der Lokalpresse warnte Demeestère vor falschen, sprich romantischen, Erwartungen: Die Bedingungen würden „spartanisch“ sein, ähnlich wie die Lebensbedingungen der Exilierten in Calais. Weder eine Weihnachtskrippe noch Musikinstrumente werde es geben. „Ich muss sechs oder acht Bänke für die älteren Menschen bereithalten. Das sind 30 bis 40 Personen, wenn man zusammenrückt.“

Währenddessen hat sich an den Gründen, wegen derer der Hungerstreik durchgeführt wurde, nicht verändert. Die damals geforderte Aussetzung der Räumungen zumindest während der Wintermonate ist ebenso wenig erfolgt wie ein Ende der Beschlagnahmungen von Subsistenzgütern und persönlichem Besitz. Auch die dritte Forderung nach einer Neuverhandlung der Bedingungen für humanitäre Hilfe wurde nicht ansatzweise erfüllt. Allenfalls minimale und oftmals nur kosmetische Veränderungen der bestehenden Routinen wurden zugestanden und, wie die kurzzeitige Öffnung einer Halle zum Übernachten, teils bereits nach wenigen Tagen wieder beendet.

Das Fortbestehen dieser unerträglichen Situation zeigte sich besonders in den vergangenen Tagen, als die Temperaturen in Calais erstmals in diesem Winter unter den Gefrierpunkt sanken. Ein in den Vorjahren bestehender Notfallplan – nämlich die Öffnung einer Notunterkunft in Frostnächten – wurde nicht aktiviert. Stattdessen wurden die Räumungen in ihrem engmaschigen Rhytmus fortgesetzt, einschließlich der Wegnahme von Zelten bei Minustemperaturen. Allein zwischen dem 20. und 24. Dezember zählten die Human Rights Observers in Calais 24 Räumungen. Ein von Aktivist_innen aufgenommenes Video zeigt, dass die Einsatzkräfte die Bewohner_innen eines Camps (‚Old Lidl‘) am 23. Dezember sogar daran hinderten, zur Verteilung von Nahrungsmitteln zu gehen. Das im September 2020 erstmals verhängte Verbot, in weiten Teilen der Stadt Nahrung an Geflüchtete zu verteilen, wird weiterhin regelmäßig verlängert.