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Channel crossings & UK

Stehen Pushbacks unmittelbar bevor?

Der Ärmelkanal mit Traffic Separation Zones (violette Flächen) und Seegrenzen (graue Linie). (Quelle: Openstreetmaps)

Zu Beginn dieses Jahres berichtete The Times unter Berufung auf eine Quelle im britischen Innenministerium, dass die UK Border Force (UKBF) inzwischen bereit sei, Pushbacks an der Seegrenze zu Frankreich durchzuführen. Folgt man dem Bericht, so hätte es bereits an zwei Tagen im Dezember zu Pushbacks kommen können, wenn an diesen Tagen denn Überfahrten stattgefunden hätten. Innenministerin Priti Patel scheint fest entschlossen zu sein, möglichst rasch solche Operationen durchzuführen, obschon eine gerichtliche Entscheidung über ihre Zulässigkeit noch aussteht, eine erforderliche Vereinbarung mit Frankreich fehlt und sich die Gewerkschaft der Grenzbeamt_innen vehement dagegen ausspricht. Von Channel Rescue wurden nun Belege vorgelegt, die bestätigen, dass Pushbacks unmittelbar vorbereitet werden. Dabei zeichnet sich auch ab, auf welche Weise sie durchgeführt werden könnten.

Bereits im September 2021 hatte die Border Force trainiert, Schlauchboote mithilfe von Jetskis an der Einfahrt in britische Hoheitsgewäser zu hindern und zur Umkehr in das französische Seegebiet zu zwingen (siehe hier). Der Bericht der Times bestätigt nun, dass bei den vorbereiteten, aber nicht durchgeführten, Operationen im Dezember „drei Jet-Skis ein Migrantenboot umzingeln und es zurück nach Frankreich leiten“ sollten. Eine anonyme Quelle aus dem Innenministerium sehe die Border Force nun jederzeit bereit, diese Turnback genannten Operationen durchzuführen. Die Times erwähnt außerdem eine Leitlinie des Innenministeriums, in der u.a. festgelegt sei, daß „ein Turnback nur in einem Abschnitt des Ärmelkanals von 1,8 Meilen Breite durchgeführt“ werden kann. Um welche Region des Ärmelkanals es sich handelt, bleibt offen.

Basierend auf einer Auswertung nautischer Navigationsdaten durch Channel Rescue beschrieb der Blog The Civil Fleet des Journalisten Ben Cowles nun die wahrscheinliche Vorgehensweise solcher Pushback-Operationen. Demnach dürften sie in der sogenannten Traffic Separation Zone (TSZ, deutsch: Verkehrstrennungsgebiet) des Ärmelkanals stattfinden. Dem Mittelstreifen einer Autobahn vergleichbar, trennt diese Zone den Schiffsverkehr auf dem Ärmelkanal sozusagen in zwei Fahrbahnen. Der Schiffsverkehr in Richtung Atlantik verläuft nördlich, der Verkehr in Richtung Nordsee südlich dieses Gebiets (siehe Abbildung oben). Die Zone selbst darf im Normalfall nicht befahren werden.

Die Traffic Separation Zone ist nicht identisch mit der britischen Seegrenze, die (mit Ausnahme der britischen Kanalinseln) lediglich in der Straße von Dover, also an der engsten Stelle des Ärmelkanals nahe Calais, unmittelbar an französisches Hoheitsgebiet grenzt. Allerdings kreuzt die Seegrenze die Traffic Separation Zone dort in einem spitzen Winkel, sodass die Grenze hier zum Teil mit der Traffic Separation Zone zusammenfällt.

Transport Separation Zone (violette Fläche) und britisch-französische Seegrenze (grauen Linie) in der Strasse von Dover. (Quelle: Channel Rescue)

„Ungefähr in dieser Zone“, so The Civil Fleet, entdeckte Channel Rescue am 13. Januar 2022 drei Boote der Border Force. „Mit Hilfe der Schiffsverfolgungs-Website Marine Traffic stellten die Aktivisten fest, dass es sich […] um die Seeker, ein Patrouillenschiff, und zwei Jetskis, die Juno 3 und Champion, handelte. Die Bedingungen – ein UKBF-Schiff mit zwei Jetskis in einem kleinen, leeren Gebiet im Ärmelkanal bei perfekten Wetterbedingungen – stimmen sehr gut mit dem überein, was die Times berichtete.“

Bewegung von Border Force-Schiffen am 13. Januar 2022. (Quelle: Channel Rescue)

Am 14. Januar 2022, registrierte Channel Rescue erneut solche Bewegungsmuster der drei schon genannten Boote inerhalb der Traffic Separation Zone: „Wir gehen davon aus, dass die Pushback-Taktik einsatzbereit ist,“ merkt die Gruppe dazu an.

Bewegungsmuster der Border Force in der Traffic Separation Zone am 14. Januar 2022. (Quelle: Channel Rescue)

Sollte die Traffic Separation Zone tatsächlich für Pushbacks zweckentfremdet werden, so wären davon vor allem solche Bootspassagen betroffen, die aus der Region zwischen Calais und Boulogne-sur-Mer durchgeführt werden, wo die zurückzulegende Entfernung am geringsten ist. Sollte es zu Pushbacks in einem relevanten Umfang kommen, würden diese ein Ausweichen auf längere und damit riskantere Routen provozieren.

Zudem könnten Pushbacks die betroffenen Boote auch unmittelbar in Gefahr bringen. Ein Boot mithilfe mehrerer Jetskis zum Wenden zu zwingen, kann schlechterdings Panik auslösten. Die Aussicht, die bereits erreichte britische Grenze nicht passieren zu können, könnte, so meinte auch die Times, Passagier_innen dazu motivieren, ihre Bergung zu erzwingen, indem sie das Boot zum Kentern brächten.

Nach wie vor ist zweifelhaft, ob britische Pushbacks auf See überhaupt rechtlich zulässig und politisch durchsetzbar sind. Seit dem vergangenen Jahr liegen drei juristische Interventionen vor (siehe hier), über die noch nicht entschieden ist. Eingereicht wurden sie von Channel Rescue, Freedom from Torture und Care4Calais – letztere gemeinsam mit der Gewerkschaft Public and Commercial Services (PCS), die einen Großteil der Beschäftigten der Border Force vertritt. In der Beteiligung der Gewerkschaft an den Klageverfahren zeigt sich ein tiefes Unbehagen der Beschäftigten der Grenzbehörde an der rigorosen Politik der Innenministerin. Die Gewerkschaft künftigte sogar an, Innenministerin Patel notfalls durch eine gerichtliche Verfügung daran hindern zu wollen, Pushbacks durchführen zu lassen.

Nach wie vor fehlt auch eine Vereinbarung Großbritanniens mit Frankreich, die das Verfahren nach möglichen Pushbacks an der Seegrenze regeln würde. Sollte es also zu Pushbacks kommen, so ist nach den vorliegenden Informationen völlig offen, was mit den betroffenen Menschen auf See geschehen würde. Ungeachtet dessen hält Innenministerin Patel an der Absicht fest, Pushbacks durchzuführen.

Vor diesem Hintergrund zeichnet sich momentan eine weitere Wendung ab. Wie die BBC am 17. Januar 2022 berichtet, könnte das Militär die Leitung von Operationen gegen die Bootsüberfahrten übernehmen. Diskussionen über eine Zusammenarbeit des Verteidigungsministeriums mit dem Innenministerium und der Border Force liefen seit mehreren Wochen, allerdings scheinen grundlegende Fragen noch offen zu sein. Der Sender zitiert zudem einige Quellen, die auf Vorbehalte des Militärs gegenüber einem innen- und migrationspolitischen Einsatzfeld schließen lassen. Eine Labour-Abgeordnete erinnerte daran, dass die Regierung bereits 2019 angesichts weniger hundert Bootspassagier_innen die Marine im Ärmelkanal patrouillieren ließ, „aber die beiden eingesetzten Schiffe hätten keine Boote abgefangen und die Regierung 780.000 Pfund gekostet.“