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Anschlag auf Migrationszentrum im Hafen von Dover

Screenshot einer Videoaufnahme des Anschlags im Hafen von Dover, 30. Oktober 2022. (Quelle: Twitter)

Das Migrant Processing Centre der Border Force im Hafen von Dover wurde am heutigen 30. Oktober 2022 Ziel eines Anschlags. Ersten Medienberichten zufolge warf ein Mann Brandsätze auf die Anlage und soll sich anschließend selbst getötet haben.

[Mit einem Update zum Stand am 3.11.2022]

Laut BBC , Guardian und Metro ereignete sich die Tat gegen 11:20 Uhr. Unter Berufung auf die Agentur Reuters heißt es, dass ein einzelner Mann in einem Seat-Sportwagen auf das Zentrum zugefahren und drei Benzinbomben geworfen habe, von denen eine nicht explodierte. Einem Reuters-Fotografen gelang es, den Mann mittleren Alters zu fotografieren, während er einen der Brandsätze warf. Danach, so meldete die Agentur, fuhr der Täter „zu einer nahegelegenen Tankstelle und tötete sich selbst“.

Ein Sprecher der Kent Police bestätigte, dass zwei oder drei Brandsätze geworfen worden seien und es einen leichten Verletzungsfall gegeben habe. Die Aufnahmen des Reuters-Fotografen und ein in den Sozialen Medien zirkulierendes Video zeigen ein Feuer an der Außenwand des Zentrums.

Der Tatverdächtige konnte nach Behördenangaben „identifiziert und lokalisiert“ worden. Die Meldung über seinen Tod bestätigten die Behörden laut BBC bislang nicht. Kurz nach der Tat trafen Polizei und Feuerwehr am Tatort ein und sperrten das Gelände ab.

Über die Motive des Täters kann nur spekuliert werden. Allerdings fällt die Tat in eine Phase innenpolitischer Instabilität, in der die rechtskonvertativen Regierungen Truss und Sunak eine migrationsfeindliche Rhetorik gepflegt und gegen die Channel migrants weiter zugespitzt haben. Die Brandbomben auf das Zentrum der Border Force können daher als ein stellvertretender Angriff auf die Geflüchteten gelesen weren, die in kleinen Booten übersetzen. Diese werden nach ihrer Anlandung zunächst in dem attackierten Zentrum untergebracht.

Einen Tag vor der Tat war die erfolgreiche Bootspassage von 990 Menschen gemeldet worden, insgesamt waren es knapp 40.000 Personen seit Jahresbeginn – eine Entwicklung, die in antimigrantischen Kreisen zu einer permanenten moral panic geführt hat. Zivilgesellschaftliche Oganisationen forderten deshalb nach der Tat einen Stopp dieser Rhetorik.

Die Gründerin von Care4Calais, Clare Moseley, sagte gegenüber dem Guardian: „Wir beobachten eine Eskalation des Hasses in den sozialen Medien und Drohungen gegen unsere Freiwilligen. Die Rhetorik der Minister dieser Regierung ist schockierend und spaltend. Sie bezeichnen die Geflüchteten in Calais als ‚illegale Einwanderer‘, obwohl es sich um echte Flüchtlinge handelt, die dringend Hilfe benötigen. […] Es wäre freundlicher und effektiver, den Menschen einfach zu helfen, anstatt diese schädliche Kampagne fortzusetzen, die das Gefüge unserer Gesellschaft zerreißt und zu Ereignissen wie diesen führt.“

Update, 1.11.2022:

Bei dem Anschlag erlitten laut BBC zwei Personen, die sich in dem Zentrum aufhielten, leichte Verletzungen. Sie sind Bedienstete des Zentrums.

Das Zentrum im Hafen von Dover blieb in Betrieb, allerdings sollen die Sicherheitsstandards überprüft werden. Die dort untergebrachten rund 700 Geflüchteten wurden bei Beginn der polizeilichen Ermittlungen zu ihrer Sicherheit in das rund 30 Kilometer entfernte Manston verlegt. Die dortige Einrichtung ist stark überbelegt und es war zum Ausbruch von Infektionskrankheiten gekommen. Am 30. Oktober waren dort, so der BBC-Journalist Simon Jones, etwa 4.000 Menschen untergebracht, obwohl die Einrichtung nur für 1.600 ausgelegt ist. Diese Zustände in Manston werden in der britischen Öffentlichkeit seit Wochen als Skandal wahrgenommen.

Inzwischen steht fest, dass sich der Angreifer das Leben genommen hat. Es handelt sich um einen 66jährigen Andrew Leak aus High Wycomb in Buckinghamshire, der bislang offenbar nicht auffällig geworden war. Der Abgeordnete Roger Gale sprach von „schweren psychische Problemen“ des Mannes. Simon Jones zitiert die Polizei mit der Aussage: „Es scheint klar zu sein, dass diese verabscheuungswürdige Straftat gezielt begangen wurde und wahrscheinlich von einer Art hasserfülltem Groll angetrieben wurde.“ Weiterhin berichten britische Medien, gegen den Mann sei wegen Sexualdelikten an Kindern ermittelt worden und er habe in diesem Zusammenhang mit Suizid gedroht. Fahrern, die Geflüchtete zu der Einrichtung in Dover brachten, habe er zugerufen: „Alle eure Kinder sollten vergewaltigt und getötet werden“.

Wie BBC am 2. Novemer meldete, hat die Counter Terrorism Policing South East Ermittlungen aufgenommen. Die Behörde stufe die Tat zum jetzigen Zeitpunkt nicht als terroritistischen Akt ein und gehe von einem Einzeltäter aus. Der Sender zitiert antimuslimische Äußerungen Andrews auf Facebook und Ausssagen auf einer vermutlich von ihm erstellten Homepage, die Sozialneid gegen Personen schüren, die kein Englisch sprächen.

Vor diesem Hintergrund verstärkt sich die öffentliche Kritik an der antimigrantischen Rhetorik der britischen Regierung. Zwar folgte Innenministerin Braverman der Etikette und nannte den Anschlag erschütternd, doch sprach sie zugleich von einer „Invasion“ der britischen Südküste. Sie verwendete damit einen hochproblematischen Begriff, der in Großbritannien untrennbar mit den historischen Erfahrungen und Traumata beider Weltkriege verbunden ist.