Ein Mann, der am 12. November 2022 per Boot auf der Kanalroute nach Großbritannien gelangt war, ist eine Woche später, am 19. November, gestorben. Er war im Manston processing centre in der Grafschaft Kent untergebracht. Laut BBC und Guardian klagte er am Vorabend über Beschwerden und wurde ins Krankenhaus eingeliefert, wo er am folgenden Morgen starb. Über die Identität des Mannes und die genauen Todesumstände ist bislang nichts bekannt. Die Einrichtung in Manston war in den vergangenen Monaten durch ihre starke Überbelegung, heftige Klagen von Bewohner_innen sowie den Ausbruch von Infektionskrankeiten in die Schlagzeilen geraten.
[Mit einem Update]
Das lagerartige Bearbeitungszentrum befindet sich auf einem ehemaligen Stützpunkt der Royal Air Force in Manston. Gegründet wurde es im Kontext der Verschärfung der Grenzpolitik durch die damalige Innenministerin Priti Patel, die u.a. Kompetenzübertragungen auf das Militär umfasste. Die Einrichtung war für eine 24-stündige Aufnahme von Menschen vorgesehen, die in kleinen Booten über den Ärmelkanal eingereist sind; ausgelegt war sie auf eine Kapazität von 1.000 bis 1.600 Personen. Nach Sicherheits- und Identitätskontrollen in Manston sollten sie entweder andernorts untergebracht werden, was in der Regel in angemieteten Hotels erfolgt, oder zur Abschiebung in Haftzentren überführt werden.
Im Oktober wurde bekannt, dass die Menschen dort länger als ursprüngich vorgesehen festgehalten werden und das Zentrum mit zeitweise rund 4.000 Personen stark überbelegt war. Nach einer Inspektion am 24. Oktober, als sich rund 2.800 Menschen dort befanden, nannte der unabhängige Chefinspektor für Grenzen und Einwanderung, David Neal, die Situation besorgniserregend; er berichtete von einer afghanischen Familie, die seit 32 Tagen in einem Zelt untergebracht war. Außerdem wurde bekannt, dass vermehrt Diphterie-Infektionen aufgetreten waren. Weitere Berichte thematisierten Proteste und Gewalttätigkeiten in dem Lager. Wiederholt protestierten zivilgesellschaftliche Organisationen gegen die faktische Inhaftierung. Anfang November berichteten Medien, dass die Dauer der Inhaftierung gesetzwidrig sei und Innenministerin Braverman schon seit Wochen über die Gesetzwidrigkeit informiert sei. Anfang November verlegten die Behörden rund 2.000 Insass_innen, am 7. November war die Zahl offenbar unter 1.600 Personen gesunken und soll nun bei rund 650 liegen.
Vor diesem Hintergrund wird geprüft, ob eine gerichtsmedizinische Untersuchung der Todesumstände des Mannes durchgeführt werden soll. Zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen forden eine Aufklärung des Geschehens und eine Schließung des Lagers. So erklärte die Direktorin der NGO Inquest, Deborah Coles: „Es gab wiederholt Warnungen über die erbärmlichen Bedingungen in Manston und die Auswirkungen auf die psychische und physische Gesundheit gefährdeter Menschen in staatlicher Haft.“ Nach unbestätigten Informationen, die dem Guardian vorliegen, könnte eine Sepsis die Todesursache gewesen sein.
Update, 26.11.2022:
Am heutigen Tag teilte das Innenministerium mit, dass der Mann durch eine Diphterie-Infektion gestorben sein könnte. Wie der BBC-Journalist Simon Jones berichtet, sei ein erster Test durch ein lokales Krankenhaus negtiv, ein späterer PCR-Test jedoch positiv gewesen.
Dies legt den Schluss nahe, dass die inhumanen und ungesunden Lebensumstände im Lager zum Tod geführt haben.
Update, 9.12.2022:
Die Identität des Mannes ist geklärt. Nach Angaben des Innenministeriums hieß er Hussein Haseeb Ahmed, war 31 Jahre alt und war ein Kurde aus dem Irak.