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Calais Channel crossings & UK

Der Sudan und Calais

Über die Verweigerung eines sicheren Migrationspfades

École du Darfour im Jungle von Calais kurz vor ihrer Zerstörung im Oktober 2016. (Foto: Th. Müller).

Die britische Regierung rechtfertigt ihre antimigrantische Agenda gern mit dem Verweis auf sichere und legale Routen für Geflüchtete. Allerdings sind die wenigen nicht illegalisierten Migrationspfade auf einzelne Herkunftsgruppen beschränkt und sollen in Zukunft an Obergrenze gekoppelt sei. Diejenigen, die den Ärmelkanal inoffiziell überqueren, haben in aller Regel keinen Zugang zu diesen Routen. Zu ihnen gehören seit zwei Jahrzehnten auch Geflüchtete aus dem Sudan, die in Calais zeitweise die größte Herkunftsgruppe bildeten. Seit der Eskalation der Machtkämpfe innerhalb des sudanischen Militärregimes am 15. April 2023 schließt die britische Regierung es demonstrativ aus, eine legale und sichere Route für geflüchtete Sudaner_innen in das Vereinigte Königreich auch nur er erwägen. In ihrer Begründung operiert sie mit falschen Behauptungen.

Hütte im Jungle von Calais, Oktober 2016. (Foto: Th. Müller)

Seit Beginn der Kämpfe am 15. April 2023 äußerte sich die britische Innenministerin Suella Bravermann wiederholt zur Möglichkeit eines sicheren Migrationspfades, wie es ihn etwa im Fall der Ukraine gibt. Braverman sagte u.a., sudanische Geflüchtete würden, sollten sie auf der Kanalroute einreisen, als illegal betrachtet werden; sie könnten nach Inkrafttreten der Illegal Migration Bill, des neuen Gesetzesentwurfs der Regierung, nach ihrer Ankunft inhaftiert und nach Ruanda abgeschoben werden (siehe zusammenfassend InfoMigrants).

Bravermans Position verdeutlicht sehr klar die Drift der britischen Migrationspolitik weg von internationalen humanitären und rechtlichen Standards. Ihre kategorische Ablehnung einer safe route begleitete die dritte Lesung der Illegal Migration Bill im Unterhaus am 25. April. Im diesem Kontext griff sie auf rechte Klischees zurück und stellte die Passagier_innen der small boats als Kriminelle und Drogenhändler_innen dar. Zudem ist es dem Rechtsaußen-Flügel der Tories gelungen, Verschärfungen des an sich bereits unsagbar restriktiven Gesetzesentwurfs durchzusetzen. Dazu gehört die Entkopplung des britischen Migrationssystems von der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der parlamentarische Prozess wird nun zunächst im Oberhaus fortgesetzt, dessen Abgeordnete wohl noch versuchen werden, das Gesetz etwas abzumildern.

Die Schaffung legaler und sicherer Routen, allerdings nur für wenige Gruppen und bis zu einer Obergrenze, spielt in der Legitimation des neuen Gesetzes eine zentrale Rolle. Grundsatzpapiere der britischen Regierung verweisen dabei pathetisch auf eine lange Tradition der Flüchtlingsaufnahme, auch und gerade im Rahmen von Resettlement-Verfahren des UNHCR. So heißt es in einem Grundsatzpapier über die Politik der sicheren und legalen Routen, das am 28. April 2023 upgedated wurde: „Wir setzen uns dafür ein, gefährdeten Menschen auf der ganzen Welt Wege in die Sicherheit zu eröffnen, einschließlich der Exploration neuer Routen, aber zunächst müssen wir den Anstieg der illegalen Migration in den Griff bekommen und die Boote stoppen.“ Faktisch wir die Schaffung neuer legaler Migrationspade damit an die Schließung der Kanalroute gekoppelt und, da diese nicht absehbar ist, auf unbestimmte Zeit vertagt.

Auf derselben Linie argumentierte Braverman, es gäbe keinen Grund für Sudaner_innen, sich in ein Boot nach Großbriannien zu setzen. Stattdessen gäbe es für diejenigen, die aus humanitären Gründen flüchteten, „verschiedene Mechanismen […]. Der UNHCR ist in der Region präsent und ist der richtige Mechanismus, über den die Menschen einen Antrag stellen müssen, wenn sie in Großbritannien Asyl beantragen wollen“, so Braverman (zit. n. InfoMigrants). Sie erweckte damit den Eindruck, dass es bereits eine legale und sichere Route für Sudaner_innen gäbe.

Nur: Eine solche Möglichkeit existiert nicht, wie der UNHCR am 26. April umgehend richtigstellte: „Der UNHCR ist sich der jüngsten öffentlichen Äußerungen bewußt, wonach Geflüchtete, die im Vereinigten Königreich Asyl beantragen wollen, dies über die jeweiligen Büros des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen in ihrer Heimatregion tun sollten. UNHCR möchte klarstellen, dass es keinen Mechanismus gibt, über den sich Flüchtlinge an UNHCR wenden können, um im Vereinigten Königreich Asyl zu beantragen. Es gibt kein Asylvisum und keine ‚Warteschlange‘ für das Vereinigte Königreich.“

Weiterhin machte der UNHCR deutlich, dass das Resettlement-Verfahren keine Alternative darstelle. Dies sei „die seltene Ausnahme und steht weniger als 1 % der Geflüchteten weltweit zur Verfügung. […] Derzeit gibt es nur minimale Resettlement-Möglichkeiten im Vereinigten Königreich“. Das Fazit des UNHCR lautet: „Die überwältigende Mehrheit der Flüchtlinge hat keinen Zugang zu solchen Wegen in das Vereinigte Königreich.“

Innenminister Braverman operierte also mit einer Falschbehauptung, um eine mögliche legale Route aus dem Sudan bereits im Ansatz zu unterbinden.

In der École du Darfour im Jungle von Calais, Oktober 2016. (Foto: Th. Müller)

Die kategorische Verweigerung eines legalen Weges aus dem Sudan hat viel mit der Lage der Geflüchteten in Nordfrankreich zu tun. Der Independent wies darauf hin, dass seit 2020 etwa 4.000 Sudaner_innen in small boats nach Großbritannien gelangt seien. Betrachten wir die Geschichte des französisch-britischen Migrationsraums, so wird die kontinuierliche Präsenz von Menschen aus dem Sudan noch deutlicher: Bereits vor zwanzig Jahren wurden sie durch die britische Grenzpolitik in Nordfrankreich an ihrer Weiterreise gehindert, sodass sie sich in informellen Camps und Jungles wiederfanden. Ihre Präsenz in der Region ist etwa so alt wie die Gewalt im Sudan – und insbesondere der Genozid in Darfur, woher ein großer Teil der sudanischen Geflüchteten in Calais stammte.

Als die Zahl der Geflüchteten, die im Jungle von Calais lebten, 2015/16 auf über 10.000 Personen anstieg, machten Sudaner_innen zeitweise zwei Drittel aus. Im Jungle bestanden mehrere große sudanische Viertel, in einem von ihnen die Darfur-Schule als Bildugsstätte und Treffpunkt. Die Räumung des Jungle im Oktober 2016 beendete diese Form der Selbstorganisation, an ihre Stelle traten die zutiefst inhumanen Lebensbedingungen, wie wir sie heute noch beobachten können.

Auch als 2018 die Zahl der Bootspassagen zunahm und die small boats in der Folge zu einem Fetisch der britischen Rechten wurden, blieb der Anteil der Sudaner_innen in Calais hoch. Oft besaßen und besitzen sie allerdings nicht das Geld für eine Bootspassage und versuchen daher, im Vorfeld des Calaiser Fährhafens ein Versteck auf einem Lastwagen zu finden. Von denjenigen, die in den letzten Jahren bei solchen Versuchen und, allgemeiner gesprochen, im Umfeld der Calaiser Camps starben, stammten die meisten aus dem Sudan (siehe hier). Auch der letzte Grenztote in Calais war ein Sudaner. Er beging am 3. Januar 2023 auf einem Bahngleis Suizid (siehe hier).

Das vorsorgliche Abblocken eines legalen Migrationspfades für Sudaner_innen schreibt diese Situation fest. Diese ist für die in Calais blockierten Migrant_innen seit Langem Realität, und zwar unabhängig davon, ob sie sich für die Risiken einer Bootspassage oder eines Lastwagens entscheiden. So falsch die Politik der selektiv-sicheren Routen ist: Ein sicherer Migrationspfad für Sudaner_innen hätte allein in den letzten Jahren ein Dutzend Menschenleben gerettet.