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Dunkerque & Grande-Synthe

Hungerstreik eines Helfers

Seit dem 22. November befindet sich ein freiwilliger Helfer der lokalen Organisation Salam im Hungerstreik. Pierre, so sein Name, protestiert gegen die Bedingungen, unter denen Geflüchtete im Raum Dunkerque leben. Was er einfordert, sind existenzielle Dinge wie Zugang zu Trinkwasser und die Einhaltung des sogenannten Winterfriedens, der Menschen in Frankreich während der kalten Jahreszeit vor Obdachlosigkeit schützen soll.

Später entfernter Trinkwasserbehälter im Jungle von Loon-Plage, 27. November 2023. (Foto: Th. Müller)

Anders als der 37tägige Hungerkreik in der größten Calaiser Kirche, der im Herbst 2021 internationale Aufmerksamkeit erlangte (siehe hier und hier), blieb Pierres Hungerstreik zunächst von der Öffentlichkeit unbeachtet. Dies mag damit zu tun haben, dass er Medien zufolge lieber anonym bleiben möchte. Bekannt ist jedoch, dass der 63jährige seit zwei Jahren als Freiwilliger mit großem Engagement für Salam arbeitet. Erst am 6. Dezember 2023 veröffentlichte Salam sein kurzes Statement, das auch seine Forderungen umfasst:

„Eineinhalb Monate lang hat es geregnet.

Ich trat am 22. November in den Hungerstreik. […]

Sie fahren fort, das Camp trotz Regen und Kälte zu zerstören.

Ich fordere:

Respekt für alle Vereinigungen, die im Camp arbeiten.

Wasserversorgung des Camps durch den Zivilschutz.

Die Einhaltung des Wintergesetzes, das ab Oktober wieder gilt.

Ich werde von einem Arzt betreut.

Nach Monaten im Camp möchte ich sagen: Nein.“

Der Hungerstreik ist ein individueller Protest. Salam weist darauf hin, dass Pierre seine „Entscheidung […] allein getroffen hat“ und man dies respektiere. Pierre befinde sich seit dem 5. Dezember im Maison Sésame in Herzeele, einer Anlaufstelle für exilierte Familien, Frauen und vulnerable Einzelpersonen im Grenzraum zu Großbritannien. Dort werde die Unterstützung um ihn herum organisiert.

Wie Salam weiter mitteilt, hatte Pierre zu Beginn der dritten Woche seiner Aktion „ein Zehntel seines Körpergewichts verloren; seine Lage könnte sich weiter verschlechtern.“

Salam – das Kürzel steht für Soutenons, aidons, luttons, agissons por les migrants et les pays en difficulté, deutsch: Unterstützen, helfen, kämpfen, handeln für Migranten und Länder in Not – ist eine der ältesten unabhängigen Organisationen zur Unterstützung von Exilierten im nordfranzösisch-britischen Grenzraum. Ihre Entstehung geht auf die Schließung eines Zentrums des Roten Kreuzes in Sangatte bei Calais im November 2002 zurück, das Exilierten eine Zeitlang als Zwischenunterkunft auf ihrem Weg nach Großbritannien gedient hatte. Die Organisation entstand aus der lokalen Bürgerschaft heraus, was auch zwei Jahrzehnte später noch zutrifft. Im Mittelpunkt stand von Anfang an weniger eine politischer Agenda, sondern unmittelbare Hilfe für Geflüchtete, vor allem die Versorgung mit Nahrung und warmen Getränken. Im Jungle von Loon-Plage gibt Salam nach eigenen Angaben täglich 800 Mittagsmahlzeiten aus. Übereinstimmend mit unseren Quellen vor Ort schätzt die Organisation, dass dort rund 2.000 Menschen leben und sich ihre Bedingungen in diesem Herbst stark verschlechtert haben (siehe hier). Als vor einigen Tagen Trinkwasserbehälter entfernt wurden, sorgte Salam für einen neuen, behälftsmäßigen Zugang zu Wasser.

Vor diesem Hintergrund wiegt ein Statement des Vorsitzenden von Salam, Jean-Claude Lenoir, zu Pierres Hungerstreik umso mehr: Angesichts der mauernden Haltung der Regierung sei man „überrascht, dass es nicht mehr relativ radikale Aktionen gibt“, um etwas zu bewegen.