Kategorien
Dunkerque & Grande-Synthe

Die Zäune von Loon-Plage

Zaun zwischen der Route du Port Fluvial und einem Bahngleis, April 2024. (Foto: Calais Border Monitoring)

Der Bau weitläufiger Zäune verändert seit einigen Monaten den Jungle von Loon-Plage. Wer für den Bau der Anlage verantwortlich ist, wer ihn finanziert und welches Ausbauziel erreicht werden soll, bedarf weiterer Recherchen. Doch bereits jetzt ist sichtbar, dass die Anlage einen Einschnitt darstellt. Dabei gilt die Situation im Jungle momentan als extrem angespannt.

Um die Bedeutung der Zäune zu verstehen, hilft ein Blick auf die Geographie des Jungle. Denn seit mehreren Jahren befinden sich die Camps praktisch im selben Gebiet, allerdings wechseln infolge von Räumungen häufig die konkreten Standorte. Oft werden geräumte Flächen nach Räumungen gerodet oder das Erdreich umgepflügt, um eine Neubesiedlung zu unterbinden. Diese Maßnahmen lassen den Ort von Mal zu Mal unwirtlicher erscheinen.

Das Gebiet, in dem sich dies abspielt, hat eine Fläche von mehr als einem Quadratkilometer. Im Süden wird es von der Küstenautobahn E 40, im Osten von einer Wasserstrasse mit zugehörigen Hafenbecken und im Norden durch eine Schnellstrasse begrenzt, nach Westen geht das Gebiet in landwirtschaftliche Flächen über. Verstreut gelegene Gewerbebetriebe wechseln sich mit größeren Brach-, Gebüsch- und Waldflächen ab, von denen viele bereits gerodet oder umgepflügt sind. Ein Teil der ansässigen Unternehmen kann nur über die Route du Port Fluvial angefahren werden. Diese verzweigt sich Y-förmig, bevor ihre beiden Zweige unterhalb von Brücken in einspurige Wege übergehen. Außerdem wird das Gebiet in Ost-West-Richtung von der Eisenbahnstrecke Calais-Dunkerque durchzogen, von der ein Gleis zum Seehafen von Dunkerque abzweigt. Dieses zweite Gleis durchzieht das Gelände seinerseits von Süden nach Norden. Hinzu kommen Anschlussgleise zu Unternehmen.

Einzäunung der Bahnstrecke Calais-Dunkerque am südlichen Rand des Jungle von Loon-Plage, April 2023. (Foto: Calais Border Monitoring)

Die Topographie des Geländes ist unübersichtlich, es ist leicht, dort die Orientierung zu verlieren. Doch folgen die Zäune, grob gesprochen, genau dieser Topographie: So sind die beiden Bahngleise nun mit Metallzäunen gesichert, sodass sie das Gebiet in drei Zonen separieren: erstens im Süden ein langgestrecktes Areal zwischen Bahngleis und Küstenautobahn, zweitens im Osten ein Areal zwischen dem abzweigenden Bahngleis und der Wasserstraße und drittens das westlich davon gelegene Gebiet, wo sich bei unserer Recherche im April die Camps erstreckten.

Es ist nicht leicht, den Zweck und die Funktionsweise der Anlage zu verstehen, zumal sie offenbar noch nicht vollständig ausgebaut ist. Zum einen stellen die Zäune entlang der Bahngleise einen Schutz vor Unfällen dar, zumal es mindestens ein Todesfall in diesem Zusammenhang dokumentiert ist. Gleichzeitig aber schränken die Zäune entlang der Gleise die Bewegungsmöglichkeiten ein und erleichtern es bei Räumungen, Menschen festzunehmen oder zwecks Transfer in Aufnahmezentren einzufangen.

Schon jetzt ist offensichtlich, dass die Anlage wohl die gesamte östliche Zone, also das von einigen Unternehmen genutzte Gebiet zuwischen dem abzweigenden Gleis und der Wasserstasse, möglichst vollständig verschließen soll. Dort, wo die Route du Port Fluvial bislang frei in diese Zone führte, fanden wir im April eine Art Schleuse vor: eine Anlage aus Gitterzäunen, Schranken, einem noch unfertigen und unbesetzten Wachpavillon und einem metallenen Tor, das über die gesamte Fahrbahn geschoben werden kann.

Ebenfalls im April wurde ein bislang offener Weg, der am Ende der Route du Port Fluvial die vorbeiführende Schnellstraße unterquert, mit Betonblöcken regelrecht vermauert. Auch diese Anlage soll offenbar das Betreten durch Exilierte verhindern. Am 18. April kam es zu einem tödlichen Unfall, weil Geflüchtete anstelle dieses Durchgangs auf die vielbefahrene Schnellstrasse auswichen und ein Mann von einem Auto tödlich verletzt wurde (siehe hier).

Verschlossener Durchgang am Rand des Jungle von Loon-Plage in der Nähe der Stelle, an der es am 18. April zu einem Todesfall kam. (Credits: Utopia 56)

Es bleibt abzuwarten, wie die Zäune endgültig aussehen und funktionieren werden. Momentan erinnern sie an eine ähnliche Anlage, die zwischen 2017 und 2020 in Calais errichtet wurde: In einem Gewergegebiet, wo es seit der Jahrtausendwende immer wieder Camps gab, entstanden nach und nach Zäune, jedoch isoliert voneinander und ohne klar ersichtliche Funktion. Erst als weitere Zäune hinzukamen, wuchs die Anlage gleichsam zusammen. Seither sind buchstäblich alle Bereiche des Gewerbegebiets abgezäunt. Die lokale Presse spicht treffend von Verbunkerung (siehe hier).

Es bleibt abzuwarten, ob die Anlage in Loon-Plage in Zukunft ähnlich funktionieren wird wie diejenige in Calais. Ausmaß und Kosten hingegen dürften vergleichbar sein.