Ein Boot voller Menschen verbrennt, nein: Es wird in Brand gesetzt. Die Menschen sind Puppen, durch Hautfarbe und Kleidung als Migranten markiert. Ihre symbolische Tötung erfolgt auf einer Art Scheiterhaufen vor einer feiernden Menschenmenge und bildet den Höhepunkt eines Volksfestes. Während die Polizeibehörden gegen die Veranstalter des Spektakels wegen Hasskriminalität ermitteln, machen sich rechtsextreme Aktivist_innen das Bildmaterial der brennenden Channel migrants zueigen. Die Bilder entstanden am 10. Juli 2025 im nordirischen Dorf Moygashel, das damit internationale Aufmerksamkeit erfuhr.
Ich möchte in diesem Text keine Bilder der symbolischen Tötung der Menschen zeigen, die den Ärmelkanal unter Lebensgefahr überqueren, nachdem sie traumatisierenden Situationen entkommen sind und während ihrer Migration neue Traumata erlitten haben. Aber weil die Bilder des brennenden Bootes das Potenzial zum Ikonischen aufweisen und von der extremen Rechten in dieser Weise verwendet werden, müssen wir uns mit ihnen beschäftigen.
Die Bilder entstanden während der sogenannten Eleventh Night, die jährlich in der Nacht zum 12. Juli oder kurz davor in einigen protestantischen Regionen Nordirlands begangen wird. Dabei werden bonfires entzündet: große Feuer, die aus turmhoch aufgeschichtetem Material lodern und häufig irisch-republikanische Flaggen oder Symbole vernichten. Auch in Moygashel wehte und brannte über dem Schlauchboot die irische Trikolore. Die Spektakel beziehen sich auf den Sieg des protestantischen Königs William III. über den Katholiken James II. im Jahr 1690, sind aber zugleich eng mit dem Bürgerkrieg des 20. Jahrhunderts und dem unionistischen Extremismus verknüpft. Wegen der Präsenz paramilitärischer Gruppen unionistischer Ausrichtung scheuen sich die Behörden zuweilen, gegen die Feuer vorzugehen.
Veranstaltet wurde die Bootsverbrennung von der Moygashel Bonfire Association, die sich von Anfang an immun gegen die Kritik von Menschenrechtsorganisationen, politischen Parteien, der angelikanischen Kirche und überregionalen Medien zeigte. In den Tagen vor der Veranstaltung postete sie Drohnenaufnahmen der zu verbrennenden Puppen. Sie zeigen zwölf lebensgroße und lebensecht wirkende Puppen in orangen Rettungwesten, die an Menschen aus Afrika und dem Mittleren Osten erinnern sollen. Sie sind ausschließlich männlich und entsprechen damit dem Klischeebild der britischen Rechten. Ihre Gesichter, ihr Haar und ihre Kleidung sind detailreich ausgearbeitet und erwecken den Eindruck von Individualität. Aus der Entfernung sind solche Details nicht erkennbar, grob konturierte Körper mit Rettungswesten hätten ihren Zweck vollkommen erfüllt. Es ging also wohl von Anfang an darum, spektakulär wirkende Nahaufnahmen per Drohnenkamera zu ermöglichen und in einschlägige Kanäle zu spülen. Am Tag danach, dem 11. Juli, feierte die Moygashel Bonfire Association ihre Aktion als „großen Erfolg“.
Der Scheiterhaufen an der Main Road des Dorfes bestand aus 100 Schichten von Europaletten und bildete mithin einen 14,4 Meter hohen Rundturm. Die oberste Lage war blau gestrichen. Sie bildete eine Plattform, auf der ein dunkler Holzkahn befestigt war. In dem Boot saßen die zwölf Puppen. Nichts an dieser Inszenierung entsprach – nebenbei bemerkt – der Realität am Ärmelkanal: Weder der Bootstyp, noch die Anzahl der Menschen pro Boot, noch die homogen männliche Genderzuordnung der Passagiere.
Unterhalb des Bootes waren drei Transparente mit den Parolen „STOP THE BOATS“, „VETERANS BEFORE MIGRANTS“ und „STOP ILLEGAL IMMIGRATION“ angebracht. Es sind Parolen, die so oder ähnlich auch von den Tory-Regierungen verwendet wurden, und auch die amtierende Labour-Regierung schlägt angesichts der Umfrageerfolge der extremen Rechten vermehrt solche Töne an. In Moygashel war das Wort veterans mit einer Linie unterstrichen, die aus zwei Maschinengewehren gebildet wurde.
Die Veranstalter posteten ein Video, das weitere Einblicke in die Ikonografie dieser Inszenierung erlaubt: Es beginnt mit Drohnenaufnahmen eines Volksfestes auf der Main Road und dem Gelände eines Spar-Supermarkts gegenüber dem späteren bonfire. Dort spielt eine Marschkapelle und eine Menschenmenge hat sich versammelt, meist jüngere Leute und einige Familien mit Kindern. Als es dämmert, wird auf der Plattform ein Feuerwerk entzündet. Danach wird zu beiden Seiten des Turms das Feuer gelegt, das das Boot zunächst rahmt und es dann allmählich umgibt. Eine ganze Weile zeichnen sich der Rumpf und die Puppen als dunkle Silhouette vor und über den Flammen ab, so als schwebe das Boot in einer Art Höllenfeuer, bevor es davon verschlungen wird. Genau diese Ikonografie wird später in zahlreichen Medien reproduziert und auf zahlreichen rechtsextremen Accounts gepostet. Erneut lieferte eine Drohnenkamera Nahaufnahmen. Sie zeigen, wie nun auch die Puppen Feuer fangen. Später verliert der Turm seine Stabilität und erzeugt, als er einstürzt, einen gigantische Feuerball. Als Abspann folgt noch einmal: „STOP THE BOATS“.
Die Moygashel Bonfire Association bestritt angesichts der massiven Kritik der demokratischen Öffentlichkeit, dass Rassismus oder Hass ihr Motiv gewesen seien. Ein ihr nahestehender Aktivist versuchte, die Bootsverbrennung als künstlerischen Protest gegen einen politischen Missstand darzustellen.
Ich vermag dies nicht zu erkennen. Ich sehe in den Bildern eine Tötungsfantasie, die durch nichts künstlerisch verfremdet oder sarkastisch gebrochen ist. Was wirksam in Szene gesetzt wird, ist die Hinnahme des Todes im Ärmelkanal, aber auch, je nach Radikalität ihrer Rezeption, eine Sehnsucht nach der Vernichtung von Migrant_innen schlechthin. Dies erinnert an die hasserfüllten Kommentare unter Meldungen der tödlichen Havarien, in denen betrauert wird, dass nicht noch mehr Menschen gestorben seien. Im lokalen und regionalen Kontext mögen die Bilder aus Moygashel noch als Auswuchs eines fragwürdigen Brauchtums kontextualisierbar sein, was sie natürlich nicht entschuldigt – aber spätestens auf Social media-Accounts rechtsextremer Aktivist_innen entfalten sie ihre toxische Faszination in völlig anderen Kontexten.