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Channel crossings & UK

Blaupausen für Staatsverbrechen

Teil 1: Trump, die Tories und ihr Borders Plan

Ein zeitloses Statement in Calais, 2020. (Foto: Calais Border Monitoring)

Mit der Massenkundgebung Unite the Kingdom am 13. September wurde der Vorbildcharakter der US-amerikanischen MAGA-Bewegung für radikalisierte Konservative und extreme Rechte in Großbritannien offensichtlich – ebenso ihr Wille zur Erlangung der Macht (siehe hier). Wir beobachten eine choreografierte Agitation, in der die small boats zum Symbol des Untergangs erklärt und zum Feind in einem endzeitlichen Kampf stilisiert werden. Vor dem Hintergrund treten konvervative und rechtsextreme Akteure mit Konzepten für Massendeportationen nach dem Vorbild der Trump-Administration an die Öffentlichkeit, die den Rahmen einer menschenrechtlich gebundenen und rechtstaatlich verfassten Ordnung aufsprengen: Blaupausen für mögliche Staatsverbrechen, deren Bedeutung weit über die Migration hinausweist.

Wir werden uns diesen Konzepten in einer kleinen Serie widmen, deren erste Folge die migrationspolitische Apokalyptik Donald Trumps und die Radikalisierung der Tories hin zum Borders Plan von Oktober 2025 umreisst.

Donald Trump: Apokalyptische Vision vom Ende der Migration

Bei seinem Staatsbesuch in Großbritannien vom 16. bis 18. September 2025 äußerte sich US-Präsident Donald Trump auch zur Migrationspolitik. Er verglich die Bootspassagen im Ärmelkanal mit der Grenzpolitik der USA und empfahl Premierminister Starmer ein ähnliches Vorgehen wie das seiner Regierung: „You have people coming in and I told the prime minister I would stop it, and it doesn’t matter if you call out the military, it doesn’t matter what means you use“. Migration zerstöre Länder von innen und seine Regierung reagiere darauf mit der Abschiebung von „a lot of the people“, zitiert ihn BBC.

Das ideologische Muster, das diesen Äußerungen in London zu Grunde lag, formulierte Trump am 23. September in seiner Rede an die Generalversammlung der Vereinten Nationen aus. Es basiert auf der rechtsextremen, aber auch im Rechtsterrorismus verankerten, Vorstellung eines Untergangs durch Migration, dem nur noch durch drastische Mittel begegnet werden könne.

Wörtlich erklärte Trump in New York: „Europe is in serious trouble. They’ve been invaded by a force of illegal aliens like nobody’s ever seen before. Illegal aliens are pouring into Europe. Nobody is ever, and nobody’s doing anything to change it, to get them out. It’s not sustainable. And because they choose to be politically correct, they’re doing just absolutely nothing about it.“ Nach diesen Sätzen polemisierte er bizarr gegen den Bürgermeister von London, dem er vorwarf, die Scharia einzuführen, und fuhr fort: „Both the immigration and their suicidal energy ideas will be the death of Western Europe if something is not done immediately.“ Indem Trump Migration mit Tod und Humanität mit Suizid identifzierte, schloss er die demokratisch-rechtstaatliche Werteordnung der Nachkriegszeit in seine Feindbestimmung ein und verlangte: „[…] it’s time to end the failed experiment of open borders. You have to end it now. I see it, I can tell you. I’m really good at this stuff. Your countries are going to hell. In America, we’ve taken bold action to swiftly shut down uncontrolled migration. Once we started detaining and deporting everyone who crossed the border and removing illegal aliens from the United States, they simply stopped coming.“

Trump verlangte von den europäischen Staaten also schlicht die Übernahme des Migrationsregimes seiner Regierung. Eingebettet war dies in einen frontalen Angriff auf die Vereinten Nationen, deren humanitäre Hilfen für Geflüchtete er für das imaginierten Ende Europas verantwortlich machte und deren sofortiges Ende er forderte.

Trumps politische Rhetorik folgt Mustern der christlichen Apokalyptik, wie sie im evangelikalen Christentum, in der christlichen Rechten anderer Konfessionen und in säkularisierter Form auch in popkulturellen Genres rezipiert wird. Migrationspolitik wird zum endzeitlichen Ringen zwischen Gut und Böse, dem ein tausendjähriges Reich des wiedergekehrten Erlösers folgt. Dem entspricht die Verheißung einer Welt ohne Migration – Trump lobte sich in New York für die angebliche Beendigung des Sterbens und Leidens entlang der Migrationsrouten –, die nur durch die Überwindung der normativen und rechtstaatlichen Ordnung der Gegenwart erreichbar scheint, in Wirklichkeit aber auch dann irreal bleibt: Eine migrationslose Welt ist eine unerfüllbare Verheißung, doch der Versuch, sie zu erzwingen, setzt die Bereitschaft zu Handlungen voraus, die innerhalb unserer normativen Ordnung schlicht Staatsverbrechen wären.

Dieser programmatische Bruch unterscheidet alle darauf basierenden Migrations- und Grenzpolitiken von den heute in der Europäischen Union und im Vereinigten Königreich geltenden, so repressiv und für viele Menschen fatal diese auch sind. Und es markiert den Übergang zu einer politischen Formation, die ich als transatlantischen Faschismus bezeichnen würde.

Die Transformation der Tories

Dieser Bruch lässt sich in den Positionen des britischen Konservatismus zur Migration auf der Kanalroute gut beobachten. In den vergangenen Jahren setzte sich das rhetorische Muster des Brokenism durch, d.h. ein Framing der Grenzen und das Asylsystem als broken, das sich prinzipiell auf das politische, rechtliche und normative Gefüge des Staates erweitern lässt.

Gleichzeitig lancierte Tory-Innenministerin Priti Patel im Herbst 2020 Gedankenspiele zur Errichtung einer schwimmenden Barriere in Ärmelkanal, zu Pushbacks auf hoher See und zur Internierung der Bootsflüchtlinge in Drittländern (siehe hier). Im April 2022 folgte eine Drittstaatenregelung mit Ruanda, die auf der systematischen Inhaftierung der Channel migrants und ihrem Ausschluss aus dem britischen Anerkennungsverfahren basieren sollte und mit dem Anspruch verbunden wurde, eine neue globale Migrationsorgnung vorzuzeichnen (siehe hier). Bereits diese Politik brach mit rechtlichen und humanitären Normen; sie scheiterte unter Patels Nachfolgerin Suella Braverman schließlich an britischen und europäischen Gerichten, aber auch an einer von vornherein unrealistischen Konzeption. Infrastrukturen für massenhafte Abschiebungen im heute proklamierten Maßstab vieler hunderttausend oder gar Millionen Menschen waren nicht vorhanden und nicht vorgesehen; sie waren noch nicht Teil des migrationspolitischen Diskurses.

Recherchen britischer Investigativmedien wie Prospect und Democracy for sale belegen vielfältige Einflussnahmen von Akteuren der heutigen US-Regierung, der MAGA-Bewegung sowie ihr nahestehender Stiftungen, Institute und Thinktanks auf die britischen Tories während dieser Phase. Migrationspolitiker_innen der Partei wie Priti Patel, Robert Jenrick und Liz Truss „sind alle nach Washington gereist, um Vorträge bei der Heritage Foundation zu halten, dem äußerst einflussreichen konservativen Thinktank hinter dem Project 2025, dem Entwurf für eine staatszersetzende, radikal sozialkonservative zweite Trump-Regierung“, schrieb der Journalist Peter Geoghegan angesichts der Wiederwahl Trumps im November 2024 und warte davor, dass „die transatlantische Pro-Trump-Flut, die im Vereinigten Königreich angeschwemmt wurde, zu einem Tsunami wird.“

Zu beobachten ist jedoch auch eine Verschiebung der politischen Vernetzungen und Geldflüsse vom staatstragenden Konservatismus alter Prägung hin zu rechtsextremen Akteuren mit dem Anspruch, das System aufzusprengen. So haben „einige der größten Geldgeber Trumps in den letzten zehn Jahren heimlich eine Reihe der einflussreichsten Gruppen der britischen politischen Rechten finanziert“, so Geoghegan. Dies zeigt sich exemplarisch bei den jährlichen Konferenzen des Thinktanks National Conservatism: Sprach dort 2023 und 2024 die britische Tory-Innenministerin Suella Braverman, war es 2025 Nigel Farage.

National Conservatism-Konferenzen 2023 (oben) mit der britischen Innenministerin Suella Braverman (Tories) und 2025 (unten) mit Nigel Farrage (Reform UK). (Quelle: National Conservatism / Screenshots: Calais Border Monitoring)

Rückblickend kann die migrationspolitische Radikalisierung der Tory-Innenministerinnen also bereits im Kontext der Einflusspolitik der Trump-nahen amerikanischen Rechten und der Akzeptanz ihrer extremen Positionen als legitimer Bestandteil des Konservatismus gesehen werden. Nach dem Scheitern des Ruanda-Plans und dem Machtverlust zugunsten der Labour Party im Sommer 2024 zog sich die politisch angeschlagene Partei zunächst recht defensiv auf den Standpunkt zurück, der Ruanda-Deal hätte funktionieren können. Doch auch seine Adaption außerhalb Großbritanniens (etwa in Deutschland ausgehend von der AfD in Programmen von CDU, BSW und FDP) blieb punktuell und erwies sich nicht als durchschlagend.

Noch im Januar 2025 stand eine Variante des Ruanda-Plans im Zentrum der Strategieschrift Why is it so hard getting immigration numbers down? von Policy Exchange, einem Thinktanks im Übergangsfeld von Konservatismus und Neuer Rechter. Autor Stephen Webb entwarf darin einen Plan zur Verbringung „illegaler“ Migrant_innen an einen der entlegensten Orte der Welt, nämlich das britische Überseegebiet Ascension Island in der Mitte des Südatlantik, wo er sogar ein konkretes Areal benannte. Verbunden mit keinerlei Aussicht auf ein Bleiberecht im Vereinigten Königreich, sollte dies vor allem abschrecken – was allerdings bereits der Ruanda-Plan nicht bewirkt hat. Trotz seiner Inhumanität waren die Dimensionen auch dieses Gedankenspiels zu eng, um als Blaupause für Massendeportationen dienen zu können. Dies hat sich nun verändert.

Borders Plan: Britische ICE-Methoden

Am 5. Oktober 2025 stellte Schatten-Innenminister Chris Philp auf dem Parteitag der Tories den Borders Plan vor. Derselbe Politiker hatte im August im Stile rechter Medienaktivisten den Jungle von Loon-Plage und einen Ablegestrand der Schlauchboote in Gravelines ausgesucht und die auch von Rechtsextremen benutzte Falschbehauptung verbreitet, die französische Polizei würde nichts gegen die Bootspassagen übernehmen und stattdessen den Schleusern zuarbeiten (wir berichteten ausführlich hier). Diese Behauptung stand im Widerspruch zur früheren Politik der Tories, die vorgelagerte britische Migrationsbekämpfung auf französischem Boden kontinuierlich auszubauen, durchzufinanzieren und technologisch zu optimieren. Die in Jahrzehnten auch und gerade unter Tory-Führung geschaffene Sekuritisierung der Kanalküste wurde gleichsam als broken enttarnt, und wahrscheinlich lag genau darin die Intention von Philps aktivistischer Nordfrankreichreise. In den Tagen vor dem Parteitag deutete die Tory-Vorsitzende Kemi Badenoch dann an, dass ihre Partei die britischen Einwanderungsbehörden nach dem Vorbild der US-amerikanischen ICE umbauen wolle.

Voraussetzung des Borders Plan ist, so Philp auf dem Parteitag, der Austritt Großbritanniens aus der Europäischen Menschenrechtskonvention: „Enabled by ECHR exit, we will ban all asylum and other claims by illegal immigrants. And this will mean all those arriving illegally – including by small boat – will be immediately deported back to their country of origin if possible or to a third country like Rwanda if not within a week of arrival.“ Illustriert mit drastischen Einzelfällen kriminell gewordener Migranten und unter Verweis auf die USA kündigte er die Abschaffung des Rechtswegs für Betroffene und die Schaffung einer dem Innenministerium unterstehenden Behörde namens Removals Force mit enormem Budget an: „And by stripping away the legal obstacles […] we can remove 150,000 people a year that no legal right to be here. That is three-quarters of a million over the course of the next Parliament. This illegal immigration scandal will end.“ Philp bezog sich explizit auf Forderungen der Farage-Partei Reform UK nach Deportationen im Millionenmaßstab und präsentierte den eigenen Plan gleichsam als dessen realpolitische Variante. „Our plan is radical, yes, not because we are ideologues but because this plan has to be radical in order to work. The old ways have been tried, and they have failed. That’s why a new approach is needed.“

Darstellung des Borders Plan in Form eines Aktonyms, Oktober 2025. (Quelle: Conservative Party / X; Screenshot: Calais Border Monitoring)

Der eigentliche Borders Plan wurde als 24-seitiges Dokument auf der Tory-Website veröffentlicht. Der Name dient dabei als Akronym für dessen Eckpunkte: „Ban asylum claims for illegal entrants. Out of the ECHR, ECAT and repeal HRA. Removals Force established, to remove 150,000 per year. Deport all new illegal arrivals within a week, and all foreign criminals. End the Immigration Tribunal, Judicial Review and legal aid for immigration cases. Returns agreements backed by visa sanctions. Support our allies abroad to prevent illegal entry to Europe.“

Im Mittelpunkt des Plans stehen die Bootspassagen auf der Kanalroute, deren Anstieg im laufenden Jahr als Beleg für die Unwirksamkeit der bisherigen Grenzpolitik und das vermeintliche Versagen Keir Starmers gedeutet wird. Illustriert wird der Plan durch ein Foto Philps bei seinem oben erwähnten Auftritt bei Loon-Plage und Gravelines. Explizit benennt das Dokument die US-amerikanische ICE als Vorbild: „We will create and fund an enhanced Removals Force modelled on the recent successful US-approach (US-ICE)“. Die Ausführungen über Sonderbefugnisse der geforderten Removals Force lassen an die brutalen und rechtsfreien Praxis der ICE-Häscher_innen denken: „For example, we will […] allow Removals Force to use facial recognition systems without warning signs to identify, detain and remove illegal immigrants. The police will be mandated to check all those they stop or arrest against biometric borders data and all those who are not here legally will then be deported from Removal Force.“

ICE als Vorbild für Großbritannien: Auszug aus dem Borders Plan der Tories, Oktober 2025. (Quelle: Conservative Party; Screenshot: Calais Border Monitoring)

Die Partei veröffentlichte den Plan jedoch in einer Situation der Schwäche. Denn in Meinungsumfragen rangiert sie abgeschlagen auf Platz 3 hinter Labour, während Reform UK die seit Jahresbeginn behauptete Spitzenposition seit dem Sommer ausbauen konnte und die extreme Rechte damit im Falle von Neuwahlen auf die Übernahme der politischen Macht hoffen kann. Die veränderte Prioritäten der früheren Tory-Netzwerke zahlen sich mit der Etablierung des transatlantischen Faschismus nun vor allem für die rechtsextreme Konkurrenz aus, die bereits mit Kampagnen und Konzeptpapieren für Massendeportationen im Millionenmaßstab wirbt. Die Unite the Kingdom-Kundgebung im September war die machtvolle Demonstration einer britischen MAGA-Variante mit dem Anspruch, das politische System zu destabilisieren und zu stürzen. Festzuhalten ist an dieser Stelle, dass mit dem Borders Plan nun eine der beiden bisherigen Säulen des britischen Parlamentarismus begonnen hat, in diesem Wettbewerb mitzubieten.