Das neue britische Migrationsgesetz, der Illegal Migration Act, wurde am 20. Juli 2023, mit der königlichen Zustimmung beschlossen. Die Verabschiedung des neuen Gesetzes erfolgte nach mehreren Lesungen des Gesetzesentwurfs im britischen Unterhaus und Oberhaus sowie dem „Ping-Pong“ zwischen beiden Häusern, also dem Prozess in dem sich beide Häuser auf Änderungen einigen. Faktisch ist von den extrem restriktiven Regelungen nun jedoch erst ein Teil in Kraft getreten, da mit dem bislang gescheiterten Ruanda-Deals die Voraussetzungen hierfür nicht gegeben sind. Das wichtigste gesetzgeberische Vorhaben der Regierung Sunak zu Bekämpfung der small boats bleibt damit ein Torso.
Die Verabschiedung des neuen Gesetzes erfolgte nach mehreren Lesungen des Gesetzesentwurfs im britischen Unterhaus und Oberhaus sowie dem „Ping-Pong“ zwischen beiden Häusern, also dem Prozess in dem sich beide Häuser auf Änderungen einigen. Letztendlich zogen sich die Lords entweder zurück oder unterlagen einer Reihe von Änderungsanträgen, die von einer parteiübergreifenden Gruppe eingebracht und von den Abgeordneten abgelehnt worden waren (siehe hier und hier). Doch welche Veränderungen sind im Vergleich zum Gesetzesentwurf, damals noch Illegal Migration Bill genannt, (mehr Details hier) festzustellen ?
Zum jetzigen Zeitpunkt ist ein Großteil des Gesetzes noch nicht in Kraft getreten. Die Bestimmungen zum Inkrafttreten sind in Abschnitt 68 enthalten mit der Möglichkeit, dass weitere Bestimmungen zu einem späteren Zeitpunkt durch Verordnungen in Kraft treten. Die wichtigsten Bestimmungen, die bereits in Kraft getreten sind, umfassen Abschnitt 30 – 37 und Abschnitt 52.
Abschnitt 30 verbietet die Erteilung einer Einreisegenehmigung, einer elektronischen Reisegenehmigung oder einer Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung für Personen, die am oder nach dem 7. März 2023 in das Vereinigte Königreich eingereist sind und die die anderen drei in Klausel 2 genannten Bedingungen erfüllen (dies sind: Die Person ist unter Verstoß gegen die Einwanderungsgesetze eingereist, Person ist durch einen sicheren Drittstaat gereist und die Person benötigt eine Einreise- oder Aufenthaltsgenehmigung, hat diese aber nicht). Ausgenommen von dieser Regelung sind einige unbegleitete Kinder, Überlebende von Menschenhandel und Personen, bei denen andernfalls ein Verstoß gegen die Menschenrechte vorliegen würde.
Wie freemovement.org.uk analysiert, kann nach der neuen Klausel 8AA(2) jede Person, die seit dem 7. März ankommt und die entsprechenden Bedingungen erfüllt, nicht als Flüchtling anerkannt werden, aber ihr/sein Antrag kann immer noch geprüft werden (da die Pflicht zur Nichtberücksichtigung von Anträgen in Abschnitt 5 nicht in Kraft ist).
Eine bedeutende Änderung besteht darin, dass all diese Bestimmungen jetzt nicht mehr auf die Familienangehörigen von Personen ausgedehnt werden sollen, die die vier Bedingungen in Abschnitt 2 erfüllen. So wird der Begriff „Familie“ im Gesetz nicht mehr wie ursprünglich 39 mal erwähnt, sondern nur noch dreimal (siehe hier).
Die einzige andere westliche Bestimmung, die mit der königlichen Zustimmung in Kraft getreten ist, betrifft Abschnitt 52. Mit der neuen Regelung können Richter*innen des First-tier Tribunal (dt. erstinstanzliches Gericht) auch als Richter*innen des Upper Tribunal tätig sein, also der nächsthöheren Instanz im Berufungsprozess.
Abschiebungen und der Ruanda-Deal
Des weiteren sind Unterschiede zwischen der Illegal Migration Bill und dem jetzt beschlossenem Act noch an anderen Klauseln zu erkennen, die zum jetzigen Zeitpunkt jedoch noch nicht in Kraft getreten sind. So ist die Pflicht zur Abschiebung, die in Abschnitt 2 des Gesetzes verankert ist, noch nicht in Kraft. Da die Durchführbarkeit von Abschiebungen in „sichere Drittstaaten“ auf dem Ruanda-Deal fußt und eine endgültige Entscheidung über die Rechtsgültigkeit des Abkommens noch aussteht (siehe hier), ist es der Regierung momentan unmöglich, die Menschen in einen Drittstaat abzuschieben.
Eine weiter Veränderung wurde an Klausel 2(3) vorgenommen. Die Abschiebungen gilt nur von Personen, die am oder nach dem Tag der Verabschiedung des Gesetzes, d.h. am 20. Juli 2023 (statt, wie ursprünglich vorgesehen, am 7. März 2023) in das Vereinigte Königreich eingereist oder dort angekommen sind (siehe hier).
Weitere Details zum Abschiebungsverfahren sind in Abschnitt 8 enthalten. Bisher konnte die Abschiebung erst dann erfolgen, wenn die Frist für die Geltendmachung eines Anspruchs mit aufschiebender Wirkung (d. h. schwerwiegender Schaden oder sachlicher Irrtum) abgelaufen war. Dies wurde nun geändert, so dass die Abschiebung früher erfolgen kann, wenn eine Person mitteilt, dass sie nicht beabsichtigt, einen solchen Antrag zu stellen (Klausel 8(3)(b)). Dies ist äußerst bedenklich, da diese Verfahren sehr komplex sind und die Betroffenen Schwierigkeiten haben werden, sich rechtlich beraten zu lassen und ihre Rechte zu verstehen. Es besteht auch die Möglichkeit des Missbrauchs von offiziellen Seiten, um die Rücknahme von Asylanträgen zu fördern (siehe hier).
Die vorgesehene 28-tägige Inhaftierung von Menschen, die im Sinne des Gesetzes als „illegal“ gelten ist noch nicht in Kraft getreten, kann jedoch zu einem späteren Zeitpunkt durch Verordnungen Gesetzeskraft erlangen. Änderungen, wenn auch noch nicht in Kraft, wurden bezüglich der Inhaftierung von schwangeren Frauen und unbegleiteten, minderjährigen Geflüchteten in Abschnitt 11 vorgenommen. So dürfen letztere nur unter bestimmten Umständen inhaftiert werden, die in Verordnungen festgelegt werden sollen und eine zeitliche Begrenzung beinhalten können. Jedoch besagt das Gesetz nach wie vor, dass Kinder 28 Tage lang ohne Kaution in Gewahrsam genommen werden können.
Kritik am Illegal Migration Act
Wie bereits nach Veröffentlichung der Illegal Migration Bill, warnten der UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk und der UN-Hochkommissar für Flüchtlinge Filippo Grandi, dass das Gesetz über illegale Einwanderung, das jetzt vom britischen Parlament verabschiedet wurde, gegen die Verpflichtungen des Landes im Rahmen der internationalen Menschenrechte und des Flüchtlingsrechts verstößt und tiefgreifende Folgen für Menschen haben wird, die internationalen Schutzes bedürfen.
In dem Schreiben vom 18. Juli 2023 wird erneut die Absenz von „legalen“ Wegen für Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, kritisiert und darauf hingewiesen, dass in der Flüchtlingskonvention von 1951 ausdrücklich anerkannt wird, dass Flüchtlinge gezwungen sein können, irregulär in ein Asylland einzureisen.
„Die Durchführung von Abschiebungen unter diesen Umständen verstößt gegen das Verbot der Zurückweisung (Non-refoulement) und der kollektiven Ausweisung, gegen das Recht auf ein ordnungsgemäßes Verfahren, das Recht auf Familien- und Privatleben und gegen den Grundsatz des Wohls der betroffenen Kinder“
UN-Hochkommissar für Menschenrechte Volker Türk (aus dem englischen)
Darüber hinaus sei damit zu rechen, dass in Ermangelung praktikabler Abschiebungsvereinbarungen mit Drittländern oder anderer angemessener Kapazitäten Tausende Menschen auf unbestimmte Zeit in prekären rechtlichen Verhältnissen im Vereinigten Königreich leben müssen. Die Gesetzgebung könnte so die ohnehin schon prekäre Situation von Menschen, die irregulär im Vereinigten Königreich ankommen, noch verschärfen, indem sie die Wahrnehmung ihrer Menschenrechte drastisch einschränkt. Die von der britischen Regierung geplanten Massenunterkünfte für Bootspassagiere, die zur Ausführung der neuen Bestimmungen des Illegal Migration Act dienen (siehe hier), scheinen die Befürchtungen zu bestätigen.