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Manövrierunfähiges Boot trieb neun Tage im Ärmelkanal

[Update, 23. November] Zwischen dem 2. und 11. November 2024 trieb Boot mit Geflüchteten manövrierunfähig vor der Küste der Normandie. Anders als die meisten Boote, war es nicht von den sonst üblichen Küstenabschnitten bei Boulogne-sur-Mer, Calais oder Dunkerque aufgebrochen, sondern bei Le Havre. An Bord befanden sich sechs Menschen, darunter ein Kleinkind. Zwei der Passagiere werden vermisst.

Der Fall wurde von Utopia 56 zunächst am 20. November öffentlich gemacht und inzwischen durch weitere Details ergänzt. Grundlage sind Berichte geretteter Passagier_innen.

Die Menschen hatten sich demnach Ende Oktober in einem informellen Camp bei Dunkerque aufgehalten und waren dort tätigen Helfer_innen bekannt. Die Gruppe brach dann am frühen 3. November 2024 in Le Havre auf und hoffte, von dort aus Großbritannien zu erreichen. An Bord befanden sich sechs Personen: ein Paar mit einem Kind im Alter von einem Jahr und drei Männer.

„Doch schon nach wenigen Stunden fiel der Motor ihres behelfsmäßigen Bootes aus. Da sie keine Telefonverbindung hatten, konnten sie die Rettungsdienste nicht erreichen, und die Akkus ihrer Telefone waren schnell leer. Sie drifteten über eine Woche lang ohne Nahrung und Wasser“, so Utopia 56.

Insgesamt trieben die Menschen neun Tage vor der Küste der Normandie. „Die gerettete Familie berichtet, sie habe in der Ferne mehrere Schiffe vorbeifahren sehen, doch tagelang kam keine Hilfe.“ Zwei Männer hätten einen Rettungsversuch unternommen, der vermutlich ihr Leben kostete: „Nachdem sie mehrere Tage lang auf dem Meer getrieben waren, versuchten sie, schwimmend Hilfe zu holen, als sie in der Ferne ein Schiff erblickten. Beide trugen orangefarbene Rettungswesten, aber die anderen Passagier_innen sahen sie nie wieder.“

Am 11. November wurde das Boot von einem Kranschiff gesichtet, das die Rettungskräfte alarmierte. „Die Rettungsdienste schickten einen Hubschrauber zum Einsatzort, der die vier Menschen an Bord retten konnte. Zwei von ihnen wurden in kritischem Zustand ins Krankenhaus eingeliefert, erholen sich aber inzwischen.“

Der von Utopia 56 dokumentierte Fall ist untypisch und zugleich alarmierend. Die Region Le Havre ist weit von den üblichen Ablegestränden der Schlauchboote entfernt. Die Umstände lassen vermuten, dass die sechs Menschen einen individuellen Weg für die Überfahrt suchten, denn es handelt sich nicht um eines der sonst üblichen überfüllten Boote mit fünfzig oder mehr Personen an Bord. Dass das Boot so lange unentdeckt blieb, erklärt sich auch aus der geographischen Situation, denn der Ärmelkanal ist bei La Havre sehr viel breiter als an der Engstelle bei Calais. Überfahrten von Geflüchteten wurden in der Region um Le Havre unseres Wissens bislang nicht dokumentiert.