Nach den massiven Räumungen ab dem 10. Juli (siehe hier) versuchen die betroffenen Menschen, einen Platz zu finden, an dem sie sich aufhalten und schlafen können. Ihre Situation bleibt in höchstem Maße prekär.
Schlagwort: Route de Gravelines
Rekonstruktion einer Räumungswoche
Die Räumungswelle im Kontext des symbolträchtigen Besuchs des neuen französischen Innenministers Gérald Darmanin in Calais am 12. Juli markiert eine Zäsur. Sie unterschied sich in ihrem Umfang und in ihrer Heftigkeit von vorausgegangenen Polizeiaktionen dieser Art und wiederholte im Kleinen die medienwirksam durchgeführte Räumung des bislang größten Calaiser Jungle im Oktober 2016. Daher möchten wir das Geschehen zwischen den Räumungen in der Zone Industrielle des Dunes am 10./11. Juli und des daraufhin in den Fokus gerückten Calypso-Camps am 17. Juli anhand der lokalen Berichterstattung sowie der Schilderungen zivilgesellschaftliche Initiativen rekonstruieren. Unserer Rekonstruktion liegen (noch) keine eigenen Recherchen vor Ort zu Grunde; sie ist daher als vorläufig anzusehen.
Zum Ineinandergreifen von Umwelt- und Grenzschutz
Als wir Calais nach dem Ende des Lockdown besuchten, fanden wir dieses Schild. Es sagt manches, und es sagt manches nicht, und indem es beides tut, erzeugt es einen spezifischen (und durch diese Selektivität: rassistischen) Blick auf die Migrant_innen, den Jungle und die Landschaft, die ihn umgibt. Das Schild zu analysieren, legt zugleich eine Facette grenzbezogener Politik frei, die auch an anderen Orten zu beobachten ist, nämlich die Indienstnahme der vermeintlich natürlichen Umwelt und der im gesellschaftlichen Diskurs positiv besetzten Umweltpolitik zur Kontrolle und Verschließung von Räumen.
Der Jungle nach dem Lockdown
Kurz vor Beginn des Lockdown recherchierten wir in Calais. Nachdem wir nun, am 6. Juni 2020, erneut dort waren, ergibt sich ein vorläufiges Bild von den Veränderungen, die der Jungle im Verlauf der (vielleicht nur ersten) Seuchenwelle erlebt hat. Diese Veränderungen aber resultieren in erster Linie nicht aus der Corona-Pandemie und ihrer Bekämpfung. Zwar haben sich die ohnehin prekären Lebensbedingungen in den Camps während des Lockdown weiter verschlechtert und sind elementare Versorgungsstrukturen zum Teil weggebrochen. Eine viel zitierte „Neue Normalität“ aber gibt es im Jungle nicht. Vielmehr entspricht die Situation beim Abklingen der Seuche sehr genau dem vorherigen Zustand und den damals bereits erkennbaren Tendenzen.
Der Jungle von Calais ist in den vergangenen Tagen verstärkt zum Objekt polizeilicher Räumungen und Gegenstand rechter Mobilisierung geworden. Dabei überschneiden sich mehrere zeitlich parallel verlaufende Entwicklungen: Zum einen betreffen sie die polizeilichen Räumungen und die Anwendung des Confinement (also der Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie in Frankreich) auf die Migrant_innen. Zum anderen geht es um die Mobilisierung französischer Anwohner_innen gegen den Jungle, die nun verstärkt von konservativen und rechtsextremen Akteuren aufgegriffen und auf nationaler Ebene zur Sprache gebracht wird.
Vor der Epidemie – Calais im Februar 2020
7.-8. Februar 2020 [Recherche], 22. März 2020 [Artikel]
Wir besuchten Calais zuletzt am 7./8. Februar 2020 und haben daher ein eigenes Bild von der Situation einige Wochen bevor Corona zum alles beherrschenden Thema wurde. Zum Zeit unseres Besuchs hingegen sprach noch niemand davon.
Vorgeschichte – Teil 1: Calais
2016-2020 [Recherche], 21.3.2020 [Text]
Die Vorgeschichte beginnt in den 1990er Jahren. Sie zu erzählen würde den Rahmen dieses Blogs sprengen. Und es ist auch nicht nötig, denn sie ist gut dokumentiert (grundlegend durch Michel Agier, siehe auch unseren Bericht bei bordermonitoring.eu).