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Calais

Massive Räumung im Zentrum von Calais

Räumung in der Calaiser Innenstadt, 19. Januar 2021. Im Hintergrund das Rathaus, von wo aus die Operation veranlasst wurde. (Foto: Cabane Juridique)

In der Calaiser Innenstadt hat am gestrigen 19. Januar 2021 eine der größten Räumungsoperationen der letzten Moante stattgefunden. Sie richtete sich gegen Migrant_innen, die ihre Zelte unter Brücken an den Quais in der Nähe des Rathauses aufgestellt hatten. Die Räumung war erwartet worden, nachdem am 16. Dezember 2020 eine entsprechende Verfügung das Stadt Calais ausgehängt worden war und das Verwaltungsgericht in Lille die Räumung am 24. Dezember erlaubt hatte (siehe hier). Gleichwohl bezeichnen Beobachter_innen den Umfang der Operation als außergewöhnlich.

Es handelte sich um den Typus von Räumungen, der von den Behörden euphemistisch als freiwillige und humanitäre Unterbringung dargestellt wird (mise à l’abri). Diese wird jedoch oftmals unter Zwang durchgeführt. Die Exilierten werden dann in CAES genannte Unterkünften außerhalb der Stadt gebracht, aus denen sie meist umgehend zurückkehren.

Tweet der Police Nationale über die Räumung als humanitäre Operation zur Verbesserung der Lebensbedingungen. (Screenshot: Twitter)

Einem Bericht der Lokalzeitung La voix zu Nord zufolge wurde die Operation bei strömendem Regen durchgeführt. Dutzende Einsatzfahrzeuge der Polizei, Gndarmerie und Grenzpolizei hätten die Straßen verstopft. Journalist_innen hätten keinen Zugang erhalten und seien gehindert worden, die Camps aufzusuchen. Nach Angaben der Präfektur seien 115 Personen dazu „ermutigt“ worden, sich in die CAES von Nédonchel, Croisilles und Merlimont bringen zu lassen. Zwei Gendarmerieboote seien eingesetzt wurden, um zu verhindern, dass die Betroffenen stattdessen ins Wasser springen, um zu entkommen. Zwar, so merkt die Zeitung an, seien bereits in früheren Jahren provisorische Camps unter den Brücken geräumt worden – wir selbst kennen solche Vorgänge aus 2017 –, aber: „Ein solcher Einsatz von Sicherheitskräften ist […] beispiellos. Dies kann nach unseren Informationen durch die Typologie der Orte erklärt werden: die Anzahl der Zugänge, die zu untersagenden Zufahrtsstraßen und der zu sichernde Kanal.“ Nach etwa einer Stunde sei die Operation vorüber gewesen; um die Mittagszeit hätten Arbeiter das Gelände dann mit Hochdruckreinigern gesäubert.

Räumung in der Innenstadt von Calais, 19. Januar 2021 (Foto: Cabane Juridique)

Auch die Human Rights Observers (HRO) haben die Räumung dokumentiert ausführlicher Bericht hier). Die Gruppe weist darauf hin, dass die Exilierten erst infolge der massiven Räumungswelle im Juli 2020 begonnen hätten, sich unter die innerstädtischen Brücken zurückzuziehen (siehe hier und hier); nach weiteren Räumungen in verschiedenen Randzonen der Stadt (siehe hier) seien diese Camps dann angewachsen.

Die Gruppe dokumentiert Äußerungen eines betroffenen Mannes namens Mohammed, der, in einem der Busse sitzend, fragte, ob es für die Aktion überhaupt eine gesetzliche Grundlage gäbe oder ob es lediglich eine Politik der Schikane sei. Ein anwesender Übersetzer sei nicht in der Lage gewesen, Auskunft über das Ziel der Busse zu geben. Während der anschließenden Reinigung sei dann alles entfernt worden, was die Menschen hatten zurücklassen müssen. Anstelle solcher mise à l’abri-Operationen fordert HRO die Bereitstellung bedingungsloser Unterkünfte in Calais.

Bereits seit Herbst ist es allen nicht staatlich mandatierten Hilfsorganisationen untersagt, in der Innenstadt und anderen definierten Gebieten Lebensmittel und Hilfsgüter an Exilierte zu verteilen. Im Vorfeld der Räumung hatte die Präfektur diese eigentlich befristete Verfügung bis Februar verlängert und den innenstädtischen Bannkreis räumlich ausgeweitet.

Update, 21.01.2021:

Zäune zur Abriegelung der geräumte Flächen. (Foto: Loup Blaster)

Um zu verhindern, dass die Exilierten untr die Brücken zurückkehren, hat die Bürgermeisterin von Calais zu einer brachialen Methode gegriffen: Die Fläche, auf der die Zelte gestanden hatten, wurde mit alten Fahrradständern zugestellt. Und neue Zäune sollen den Gang unter die Brücke verstellen – Calaiser Humanitarismus.

Fahrradständer auf dem geräumten Gelände. (Foto: Loup Blaster)