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Urteil im Prozess um den Tod von Mawda

Mawda (Foto: privat)

Im belgischen Mons ist am 12. Februar 2021 das Urteil im Straverfahren um den Tod des kurdischen Mädchens Mawda gesprochen worden. Das im nordrhein-westfälischem Mönchengladbach geborene Kind hatte mit seiner Familie in den Camps von Grande-Synthe gelebt, um von dort nach Großbritannien zu gelangen. Während einer auf dem Umweg über Belgien durchgeführten Schleusung starb Mawda in der Nacht vom 16. auf den 17. Mai 2018 im Alter von zwei Jahren durch einen Schuss, den ein belgischer Polizist auf das Fahrzeug mit den Migrant_innen abgegeben hatte. Das Fahrzeug wurde zu diesem Zeitpunkt bereits von mehreren Polizeifahrzeugen verfolgt und konnte praktisch nicht mehr entkommen (siehe hier und hier). Angeklagt waren neben dem Polizisten auch der Fahrer und eine dritte Person. Die beiden Erstgenannten wurden nun schuldig gesprochen und zu Haftstrafen (im Fall des Polizisten auf Bewährung) verurteilt. Wir werden die Hintergründe des Falls anhands der Erkenntnisse, die belgische Beobachter_innen des Prozesses gewinnen konnten, in einem separaten Beitrag ausleuchten. Hier zunächst ihr Bericht über die Urteilsverkündung:

Mons, den 12. Februar 2021

Das 50 Seiten lange Urteil wurde von den drei Richtern der Reihe nach verlesen.

Der Fahrer des Transporter wird zu vier Jahren Haft verurteilt und der Polizist, der Mawda mit seiner Waffe getötet hat, zu einem Jahr Haft auf dreijährige Bewährung und 400 Euro Geldstrafe. Der dritte Angeklagte wurde im Zweifel freigesprochen. 

Die Vorsitzende, Frau Bastiaans, stellte von Anfang an klar, dass das Gericht nur über die ihm vorliegenden Fakten und nicht über die von Belgien verfolgte Politik in der Frage der Aufnahme von Migrant_innen entscheiden würde.

Nach Ansicht des Gerichts war böswillige Verkehrsbeeinträchtigung die Ursache des folgenden Dramas. Die Verfolgungsjagd dauerte 60 Kilometer und ein Schuss der Polizei war für den Fahrer vorhersehbar, da der Polizist seinen Arm mit der Waffe ausstreckte und sie auf gleicher Höhe waren. „Daher musste der Fahrer die Waffe gesehen haben und sich des Risikos bewusst sein, erschossen zu werden. Der Tod von Mawda steht daher in kausalem Zusammenhang mit der böswilligen Verkehrsbeeinträchtigung von dem Fahrer“. Zur Verhinderung der Verkehrsbehinderung mit dem erschwerenden Umstand des Todes kam der bewaffnete Aufstand hinzu, wobei der verwendete Transporter eine Waffe darstellte. „Es ergeben sich auch eine Reihe von schwerwiegenden Beweisen, die keinen Zweifel daran erlauben, dass der Angeklagte tatsächlich der Fahrer war.“

Das Gericht war der Ansicht, dass die Rolle des dritten Angeklagten, der als „Schmuggler“ dargestellt wurde, nicht bewiesen war und dass die Indizien (wie ungenaue Zeugenaussagen) nicht ausreichend belegten, dass er Mittäter der Hauptverbrechen, d.h. der böswilligen Behinderung des Verkehrs und des Aufruhrs, war.

In Bezug auf den Polizeibeamten ist das Gericht der Ansicht, dass seine Version stimmig war und dass er nicht versucht habe, seine Schießhandlung zu verbergen. Seine Version sei plausibel und es gebe kein ernsthaftes Argument, das ihr entscheidend widerspreche. Es handelt sich also um einen versehentlichen Schuss, der durch ein Ausweichen des Polizeiautos verursacht wurde, das wiederum durch ein Ausweichen des Transporters der Migranten verursacht worden war.

Das Gericht ist jedoch der Ansicht, dass es keine Angemessenheit zwischen der Gefahr, die von dem Transporter ausging, und dem Risiko, das er mit dem Ziehen seiner Waffe einging, gibt. Er hätte seine Waffe unter diesen Umständen nicht ziehen dürfen. Das fehlende Training hätte ihn dazu veranlassen müssen, umso vorsichtiger zu sein. Nach Ansicht des Gerichts waren die möglichen Folgen, wie der Verlust der Kontrolle über den Transporter oder ein möglicher Querschläger der Kugel, vorhersehbar und standen in keinem Verhältnis zu dem Ziel, das Fahrzeug anzuhalten. Das Ziel, das Fahrzeug anzuhalten, hätte auch anders erreicht werden können (z.B. durch eine Straßensperre).

Da der Transporter mit einer bestimmten Geschwindigkeit fuhr, stellte das Anvisieren des Reifens zudem eine erhebliche Gefahr für die Passagiere des Transporters und den übrigen Straßenverkehr dar. Ebenso war die Gefahr groß, dass das Projektil von seiner Flugbahn abgelenkt würde und die Passagiere und Verkehrsteilnehmer gefährdete. Die Vorsitzende: „Es scheint riskant, sich auf Geschicklichkeit oder Glück zu verlassen, um auf den Reifen zu zielen, während die Fahrzeuge mit nennenswerten Geschwindigkeiten unterwegs waren. Somit ist das Irreguläre dieses Verhaltens ebenso wie die direkte Verbindung zwischen diesem Verhalten und dem Tod des Mädchens bewiesen. Ohne diesen Fehler wäre es nicht zum Tod des Opfers gekommen.